Regen Sie sich jeweils auch auf, wenn Sie als Hotelgast im Bad mit folgendem Schildchen belästigt werden: „Können Sie sich vorstellen, wie viele Tonnen Handtücher weltweit jeden Tag umsonst gewaschen werden und wie stark Waschmittel die Natur belasten?“ Immerhin kann die Hotellerie in Anspruch nehmen, das Genre des Greenwashing schon vor Jahrzehnten kreiert zu haben, das erst in letzter Zeit medial zu voller Blüte erwacht ist.

Es geht darum, dass sich Firmen einen ökologischen Anstrich geben, ohne dafür wirklich etwas zu tun. In Wirklichkeit geht es hier dem Hotel einfach darum, Personal- und Reinigungskosten zu sparen. Dies ist grundsätzlich nicht falsch, aber kann nicht als Leistung für die Umwelt verkauft werden.

Seither haben andere Industrien das Greenwashing jedoch in ganz andere Sphären gehoben, was zu grossen gesellschaftlichen Debatten, viel Medienaufmerksamkeit und damit zu politischem Druck geführt hat. Im Finanzbereich droht gegenwärtig eine heftige Regulierungswelle, weil Banken und insbesondere Fondsanbieter beim grünen Anstrich von Investments massiv übermarcht haben. Ich konzentriere mich nun aber auf den ICT-Bereich.

ICT steht gut da

Hier haben wir eine gute Ausganslage. Denn die meisten ökologischen Massnahmen machen auch kommerziell Sinn, die berühmte Win-Win-Situation. Dazu gehören die Reduktion des Energie- und Materialverbrauchs sowie der Schadstoffemissionen in der Herstellung. Auch die Senkung von Energieverbrauch und Abwärme in der Nutzung sowie das Recycling und die energiesparende Entsorgung sind dazu zu zählen, weil sie zwar erst beim Kunden anfallen, aber im Rahmen einer Cost-of-Ownership-Betrachtung das Produkt ebenfalls günstiger machen. Auch Green Software Engineering gehört dazu, indem ressourcensparend programmiert wird. Dass sich in all diesen Bereich wirklich viel tut, liess sich Anfang Jahr gut an der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas beobachten.

Oft dient die IT auch der Reduktion des Energieverbrauchs an anderer Stelle, z.B. in der Fertigung oder bei der Regelung von Heizsystemen. Und da es sich bei ICT meist um hochmargige Produkte handelt, ist auch die Umstellung auf erneuerbare und damit klimaschonende Energien kein Problem. So stellen immer mehr Rechenzentren konsequent auf CO2-freien Betrieb um.

Also alles paletti?

Es gibt durchaus offene Fragen zu dieser scheinbar makellosen Bilanz. So ist ein nachhaltiges Design zur Herstellung möglichst langlebiger Produkte nicht immer im Gleichklang mit dem kommerziellen Interesse des Herstellers, was in der Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit thematisiert wird. Man muss das Märchen der „Geplanten Obsoleszenz“ nicht glauben, und sollte doch anerkennen, dass es da zu Interessenkonflikten kommen kann.

Und sobald ich die Systemgrenzen etwas nach aussen verschiebe, wird es tricky: Da die Effizienzsteigerung oft mit Kosteneinsparungen beim Verbraucher einhergeht, führt dies dazu, dass mehr Produkte erworben werden, diese stärker genutzt werden. Oder Konsumenten verwenden die damit eingesparten Mittel für andere energiefressende Produkte und Dienstleistungen. Der Ersatzkonsum („Reboundeffekt“) ist mittlerweile in vielen Bereichen gut dokumentiert (Wieviele TV-Geräte oder Bildschirme stehen in Ihrem Haushalt vs. vor 30 Jahren?). Wobei der Effekt eigentlich gegen unsere Intuition verstösst: Wer First Class fliegt und dabei etwa 10x soviel bezahlt wie als Passagier in der Holzklasse und das Klima dabei mit seinem Flug drei Mal stärker belastet (das sind realistische Werte), schadet der Umwelt per Saldo weniger, als wenn er stattdessen mit dem gleichen Geld zehn Economy-Flüge unternimmt. Diesem Effekt ist fast nicht beizukommen: Verbote oder die Wegbesteuerung von Effizienzgewinnen sind mögliche Wege, die aber wohl weder letztlich zielführend noch mehrheitsfähig sind.

Wir betrügen uns gerne selbst

Damit kommen wir mit einem zweiten Effekt zurück zum Greenwashing. Die Konsumenten lechzen nach grünen Labels und CO2-Zertifikaten, weil sie ihnen das Gefühl geben, etwas Gutes zu tun und der Umwelt zu helfen. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es nicht dazu führen würde, dass ein gutes Gewissen dazu führt, dass man sich dafür in anderen Bereichen gehen lässt: „Ich bin so oft mit dem Velo gefahren, dass ich mir jetzt auch einmal einen Flug nach Mallorca leisten kann.“ Da wir unsere positiven Leistungen über- und unsere „negativen“ tendenziell unterbewerten, führt dieses sogenannte „Moral Licencing“ oft zu einem überschiessenden Effekt, weshalb man hier auch von einem mentalen Reboundeffekt sprechen kann.

Für alle diese Reboundeffekte kann die Branche natürlich nichts, es geht hier um energieökonomische Gesetzmässigkeiten. Und doch sollten wir bei allem Stolz über das technisch Geleistete unseren Beitrag zur Klimafrage in Öffentlichkeit und Politik nicht „überverkaufen“.

Wir können den Rahmen sogar noch etwas weiter spannen und uns fragen, ob das, was wir in der ICT anbieten, auch die Energie wert ist, die wir dafür aufwenden. Damit stossen wir zur Sinnfrage vor: Ist, wenn das entsprechende Rechenzentrum hocheffizient und CO2-neutral betrieben wird, der Bold-Glamour-Filter von TikTok ein ökologisch wertvolles Produkt?

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch. Foto von Michael Marais auf Unsplash

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