Für viele sind Verwaltungsräte ein Buch mit sieben Siegeln: Sie haben in den Unternehmen grossen Einfluss, doch deren Mitglieder sind in der Firma kaum je sichtbar (wenn ich jetzt mal von Familienbetrieben und Startups absehe, wo Management und Verwaltungsrat in Personalunion agieren). Im medialen Fokus stehen primär die VR-Mitglieder von Grosskonzernen, was dieses Amt nochmals überhöht und ihm eine mystische Aura verleiht.

Seit bald vier Jahrzehnten habe ich das Vergnügen (manchmal ist es auch kein Vergnügen!), in der einen oder anderen Firma ein solches Amt auszuüben. Ob man es glaubt oder nicht: Auch VR-Mitglieder sind nur Menschen, und so gibt es nicht nur das eine VR-Mitglied, sondern ganz unterschiedliche Ausprägungen dieser Funktionsträger. Die Kombination der verschiedenen Charaktere ist dann oft ganz wesentlich dafür verantwortlich, ob das Gremium als Ganzes funktioniert – oder eben nicht. Werfen wir also einen Blick auf die verschiedenen Typen:

Im Gremium trifft man häufig einen Elefanten an. Er ist seit vielen Jahren Mitglied und kann jeden anstehenden Entscheid zur Firmengeschichte in Bezug setzen. Er weiss, welches Steuerproblem 2002 aufgetreten ist, von welchem CFO man sich 2011 unter Absingen wüster Lieder trennen musste und warum die Expansion nach Nicaragua 2013 katastrophal endete.

Das ist wichtig und wertvoll, weil sich in Firmen Fragestellungen wiederholen und man dank diesem historischen Wissen vermeiden kann, den gleichen Fehler ein zweites Mal zu begehen. Natürlich können Elefanten auch etwas mühsam werden, wenn sie allzu häufig mit Anekdoten aus der Vergangenheit brillieren wollen, die mit dem anstehenden Thema nichts zu tun haben.

Je grösser, desto passiver

Je grösser der Verwaltungsrat, desto mehr passive Mitglieder hat er. Das sind Personen, die sich nicht wirklich für das Unternehmen interessieren und auch nicht viel von der Materie verstehen. Vor allem aber wollen sie sich in keiner Weise exponieren. Sie versuchen möglichst nicht aufzufallen und stimmen jeweils mit der Mehrheit. Da die meisten Entscheide im VR im Konsens gefällt werden, halten sie das Unternehmen zumindest nicht auf. In dieser Rolle findet man oft die Quotenmenschen.

Ich sage hier bewusst nicht Quotenfrauen, weil es in Verwaltungsräten ganz unterschiedliche Vorgaben geben kann, gesetzlich vorgeschriebene, statutarisch definierte oder auch einfach traditionell gelebte. Neben dem Geschlecht ist oft die Sprache relevant (toujours un “Welsch”!), aber auch die Nationalität, die Region, die Ausbildung oder – bei Familienunternehmen – die Abstammung können ausschlaggebend sein. Das Problem für diese Quotenmenschen ist nun, dass jeder weiss, warum sie hier sitzen. Und deshalb nimmt sie niemand so richtig ernst. Das kann tragisch sein, wenn diese Person gerade kein passives Mitglied sein will und für das Unternehmen wichtige Talente oder Kenntnisse einzubringen hätte, die den anderen fehlen.

Eine andere Kategorie sind die einsamen Wölfe. Das sind Menschen, die ihre Aufgabe darin sehen, möglichst alles, was von anderen vorgeschlagen wird, schlecht zu machen. Sie äussern ihre Kritik in einem Ton, der jedem deutlich macht, dass der Kritiker die anderen für wertlos hält. Vor allem lieben sie es, auf das operative Management einzudreschen. Ihr passiv-aggressiver Stil ist schwer zu kontern und sie zeigen sich unzugänglich für einen konstruktiven Dialog oder gar einen Kompromiss. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass der VR nur um des lieben Friedens willen einen Entscheid absegnet, den die Mehrheit in der Sache eigentlich für falsch hält.

Mit etwas weniger Sturheit können diese VR-Mitglieder jedoch eine wichtige Funktion erfüllen, indem sie eine übertriebene Harmonie im Gremium aufbrechen. Denn allzu oft entwickelt sich in VR mit der Zeit eine Wohlfühlatmosphäre, in der alle gleich denken und keiner dem anderen wehtun will. Unité de doctrine darf aber nie der Ausgangspunkt einer Problembehandlung sein, sondern steht allenfalls am Ende einer kontroversen Auseinandersetzung mit dem Thema.

Auch Eitelkeit stört

Abschliessend noch ein Wort zu den Egomanen, die auch in den Verwaltungsräten häufig anzutreffen sind. Diesen Menschen geht es nur darum, vor sich selbst und anderen immer die Hauptrolle zu spielen und andere in den Schatten zu stellen. Sie können unangenehm sein, sind aber zum Glück in ihrer Eitelkeit so berechenbar, dass sich der Schaden, den sie anrichten, oft in Grenzen hält. Trotzdem ist es nicht immer angenehm, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Natürlich gibt es noch mehr als diese vier Typen, aber nach meiner Erfahrung sind sie Verwaltungsräten am häufigsten anzutreffen. Die Idee zu dieser Kolumne kam mir übrigens vor einigen Tagen, als ich als Aussenstehender auf direktem Weg zum Präsidenten eines Verwaltungsrates gewählt wurde. Ein Amt, das mir zwar durchaus vertraut ist, vor dem ich aber, wie meine Ausführungen zeigen, auch Respekt haben muss…

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch“ auf inside-it.ch und wurde teilweise mit KI recherchiert und optimiert. Illustration: Dall-E

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