Im Zeitalter des Coronavirus taumeln die Aktienkurse ins Bodenlose. Obligationen geben schon lange keinen Zins mehr her. Nachdem mittlerweile auch Immobilien unbezahlbar geworden sind, wenden wir uns doch einmal einem Anlagesegment zu, bei dem die IT eine ganz starke, um nicht zu sagen eine dominante Rolle spielt: Startups. Ich möchte diese allerdings nicht unter dem Aspekt der Kapitalanlage betrachten, sondern die mittlerweile sehr aktive Szene beleuchten.

Wo immer eine Community besteht, gibt es nicht nur einen harten Kern von unternehmerisch aktiven Menschen, welche die Branche bilden und voranbringen, in diesem Fall als eigentliche Gründer oder als aktive Investoren. Darum herum gruppiert sich ein Biotop von Akteuren, welche sich im Umfeld bewegen und irgendwie auch dazugehören (auf austrobajuwarisch gibt’s den schönen Ausdruck „Adabei“). Wohl 80% der Startup-Szene gehören mittlerweile zu diesem weiteren Kreis.

Da gibt es zum Beispiel den grossen Zampano, der viel Geld verspricht – auch versprechen kann, weil es nicht sein eigenes ist, da er von einem Konzern angestellt ist, um zukünftige Unicorns aufzuspüren. Er ist darum beliebt, weil er über ein üppiges Spesenkonto verfügt. Er ist aber darum eher unbeliebt, weil er nie wirklich investiert. Von ihm hört man in der Regel: „Unser Anlageausschuss hat leider zwischenzeitlich die Strategie geändert, wir investieren jetzt nur noch in Blobtech“ (wobei man für „Blob“ ein beliebiges englisches Kurzwort einsetzen kann).

Der einsame Wolf, hingegen, hat eine geniale Idee, welche das Potenzial hat, eine ganze Branche zu disruptieren und überhaupt, die Welt zu verändern. Er sucht in Co-Working-Spaces nach Investoren, die ihn unterstützen. Er braucht allerdings nur das Geld, aber sicher keine Ratschläge, kein Geschäftsmodell und arbeitet überhaupt allein, weil ihm niemand das Wasser reichen kann. Da diese Schwebesituation – aus unerfindlichen Gründen – oft andauert, arbeitet er noch Teilzeit in einem Brot- und Butter-Job, zum Beispiel als Aromatherapeut.

Anwälte sind im Biotop natürlich ebenfalls stark vertreten. Sie konzentrieren sich auf regulierte Bereiche wie Fintech und Biotech. Das Cryptovalley Zug zieht sie magisch an. Sie akquirieren ihre Kunden mittels Seminaren, auf denen man alles erfährt, was man für die Gründung eines Startup wissen muss (nämlich, dass man sie unbedingt als Anwalt braucht). Ihre Stundenansätze sind so hoch wie die monatlichen Kosten für ein zehnköpfiges Team von Softwareentwicklern in Weissrussland. Daher lassen sie sich alternativ in Bitcoins oder aber mittels Aktienoptionen bezahlen. Die rechtssichere Herausgabe von solchen Optionen gehört denn auch zu den wenigen Dingen, für die man bei der Firmengründung qualifizierte Anwälte wirklich braucht. Sie sind auch deshalb beliebt, weil sie in ihren schmucken Kanzleien schöne Sitzungszimmer haben, in denen Assistentinnen im Deux-Pièces feinen Mokka reichen.

Bis jetzt habe ich die männliche Form verwendet – da tatsächlich deutlich mehr Männer als Frauen in diesen Bereichen unterwegs sind. Hingegen finden wir eine weibliche Mehrheit bei der nächsten Kategorie, den Softskills-Promotorinnen. Diese überzeugen Gründerinnen und Gründer davon, dass es vor der Entwicklung des Businessplan zuerst eine Diversity-Strategie, ein Corporate-Social-Responsibility-Konzept und einen Standard für Businessethik braucht. Der Vorteil: Sie sind nicht ganz so teuer wie Anwälte.

Alle diese Menschen – und viel mehr – trifft man übrigens in konzentrierter Form an Konferenzen und Symposien, wo die Startup-Community abgefeiert wird. Besonders dröge sind dabei jeweils die Podiumsdiskussionen. Moderiert von einem prominenten TV-Gesicht oder einer Ex-Miss-Schweiz (je nach Anspruch) bestätigen sich wichtige Leute gegenseitig, wie grossartig sie sind. Und sie allesamt fordern jeweils nachdrücklich von Gesellschaft/Medien/Wirtschaft/Politik (Zutreffendes ankreuzen, Mehrfachnennungen möglich), endlich dafür zu sorgen, dass die Schweiz Silicon Valley überholt. Und zwar gefälligst sofort.

Neben selbsternannten Gurus aus dem Inland (günstig zu haben) treten immer auch ausländische Speaker auf, die tolle Geschichten auf Lager haben – mit dem kleinen Nachteil, dass die Umstände in Kalifornien und in Shanghai nur beschränkt auf Solothurn übertragbar sind. Aber was soll’s: eingeflogene Gurus rechtfertigen die Teilnahmegebühr von 1500 Franken pro Tag. Die Höhe dieser Preise ist allerdings kein Problem, denn ernsthafte Investoren und erst recht Gründerinnen und Gründer sieht man dort kaum. Für sowas fehlt ihnen schlicht die Zeit.

Denn das Gründen eines Unternehmens, mit eigener Zeit, eigenem Geld und persönlichem Herzblut, das nimmt einen rund um die Uhr in Anspruch – oft geht es auch um die wirtschaftliche Existenz. Diese Tätigkeit umfassend zu beleuchten und zu würdigen, das allerdings übersteigt die Möglichkeiten eines flapsigen Kolumnisten.

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Photo by Annie Spratt on Unsplash

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