Im Dezember wurde bekannt, dass das Softwareprojekt für eine Justizvollzug-Applikation im Kanton Zürich abgebrochen werden muss, weil der Lieferant schlichtweg den Auftrag zurückgibt – nach 15 Jahren steht man wieder am Nullpunkt und hat zwischenzeitlich einige Millionen versenkt. Und dies, obwohl das Parlament schon mehrfach die Arbeiten kritisch hinterfragt hat.

Überhaupt fällt die Zürcher Justizdirektion seit Jahr und Tag mit IT-Pleiten, -Pech und -Pannen auf, die von der parlamentarischen Aufsicht und von den Medien kritisiert werden. Auch wenn die zuständige Regierungsrätin Jacqueline Fehr bei der Digitalisierung offensichtlich keine glückliche Hand hat, soll es heute nicht darum gehen, sie bzw. ihre Direktion zu bashen. Vielmehr zeigt der Fall ganz grundsätzlich auf, was in den Kantonen im IT-Bereich alles schiefgehen kann.

Private nicht zwingend besser

Zuerst eine kleine Erinnerung: Wir hören oft von IT-Pannen bei der öffentlichen Hand und viel seltener davon bei Unternehmen. Dies hat nicht grundsätzlich etwas damit zu tun, dass die Privatwirtschaft viel besser arbeitet, sondern hängt damit zusammen, dass staatliche Stellen Probleme und Pannen viel weniger gut vertuschen können, da sie gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig sind.

Wie sehr das öffentliche Submissionswesen schnelle und effiziente Beschaffungen verhindert, möchte ich hier nicht ausbreiten. Ich habe mich in dieser Kolumne schon vielfach darüber ausgelassen, wie die sehr schwerfälligen Verfahren günstige und innovative Produkte ausbremsen. Wie dysfunktional das Beschaffungswesen ist, erkennt man daran, dass es mittlerweile immer mehr Unternehmen gibt, die sich überhaupt nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. Dies wiederum führt dazu, dass oftmals nur noch ein einziger Bewerber einreicht – was auch preisliche Konsequenzen hat.

Immer dieser Hang zur Perfektion

Dazu kommt, dass wir Schweizer Perfektionisten sind, und unsere Verwaltung ist es noch viel mehr. Dies führt dazu, dass IT-Beschaffungen zur „never ending story“ werden. Ein Produkt ab der Stange ist völlig unmöglich, sind doch unzählige Eigenheiten des eigenen Kantons aufrechtzuerhalten. IT-Projekte werden als Umsetzungsvorhaben verstanden, nicht als Neukonzeption von Geschäftsprozessen. So werden Abläufe und Anforderungen perpetuiert, die eigentlich nicht mehr sein müssten. Und damit werden wichtige Chancen der Digitalisierung vergeben.

Selbst wenn es denn irgendwo in einem anderen Kanton die perfekte IT-Lösung für eine Anwendung gäbe, ein grosser Kanton würde sich niemals damit zufriedengeben. Was man nicht selbst in Auftrag gegeben hat, kann für die eigenen Bedürfnisse niemals gut genug sein (sogenanntes Not-Invented-Here-Syndrom). Ich finde ja auch, dass der Föderalismus als Innovationslabor nützlich ist, aber das heisst nicht, dass man gute Lösungen von anderen grundsätzlich nicht übernehmen soll.

Oftmals fehlt auch der Druck, vorwärtszumachen. Gerade am Zürcher Beispiel lässt sich dies gut zeigen: Nach 13 Jahren ist man wieder am Nullpunkt, aber die Verwaltung hat sich in dieser Zeit irgendwie durchgewurstelt. Zur Not beantragt man zusätzliche Stellen wegen Überlastung und behilft sich mit Handarbeit und Workarounds. Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr werden die ursprünglichen Anforderungen obsolet und es sind aufwändige Aktualisierungen notwendig, die dann auch kostenmässige Folgen haben. Nichts liebt ein IT-Unternehmen mehr als Kunden, welche während der Entwicklung neue Wünsche vorbringen, die dann ohne Konkurrenz zum teuren Regietarif in Rechnung gestellt werden können.

Nur möglichst nichts nach aussen vergeben

Sodann besteht eine klare Tendenz, Anbieter aus dem eigenen Kanton zu bevorzugen. Dies bedeutet schon in grossen Kantonen eine starke Einschränkung, bei kleinen Kantonen ist es geradezu irrwitzig. Da die Softwareproduktion in der Schweiz auf wenige Kantone beschränkt ist, werden lokale Vermittler, Reseller, Dienstleister oder Servicestellen eingeschaltet, welche einen Teil der Marge abschöpfen. Natürlich versteht man, dass die öffentliche Hand die Wertschöpfung im eigenen Kanton behalten will, aber gerade bei der IT wirkt das oftmals skurril – und ist höchst ineffizient.

Immerhin sind nun die meisten Kantone dazu übergegangen, die IT als zentrale Funktion zu verstehen, die von einem einzigen Kompetenzzentrum geführt wird, welches das erforderliche Know-how und die personellen Ressourcen bündelt. Es ist noch nicht lange her, dass zum Beispiel im Kanton Zürich die einzelnen Direktionen ihre eigene IT-Strategie fuhren. Man kann sich vorstellen, was dieses Silo-Denken für Leerläufe mit sich brachte und wie viel Steuergeld auf diese Weise verschwendet wurde.

Der Versuch von Kantonen, eigene IT-Unternehmen aufzubauen oder sich daran zu beteiligen, erwies sich aus meiner Sicht als wenig erfolgreich. Der Staat eignet sich nun mal nicht als Eigner von solchen Unternehmen. Dazu kommen Interessenkonflikte und auch wettbewerbsrechtliche Fragen. Man lasse sich zum Beispiel auf der Zunge vergeben, dass das Unternehmen, das beim Auftrag für die Justizapplikation in Zürich scheiterte und den Auftrag schlicht und einfach sistierte, zum Teil demselben Kanton Zürich gehört…

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch“ auf inside-it.ch und wurde teilweise mit KI recherchiert und optimiert. Foto von Patrick Robert Doyle auf Unsplash

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