Was uns Corona auch vor Augen führt: Die offizielle Schweiz hat wenig Ahnung von Krisenkommunikation.

Wer von einer globalen Pandemie überrascht wird, deren Entwicklung unabsehbar ist, wird sich nicht auf Anhieb richtig verhalten. Es bleibt ihm nur, auf dem langen und steinigen Weg von Versuch und Irrtum dazuzulernen. Deshalb gehöre ich nicht zu denjenigen, welche unsere Behörden für die getroffenen Massnahmen in Grund und Boden stampfen. Ich halte mich insbesondere auch deshalb zurück, weil ich – offenbar im Gegensatz zur Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer – nicht ausgebildeter Epidemiologe und Gesundheitsexperte bin.

Was ich mir jedoch anmasse, ist die Beurteilung der kommunikativen Leistungen rund um Corona. Krisenkommunikation ist eine etablierte Disziplin, bei der auf langjährige Erfahrungen und ausführliche wissenschaftliche Literatur zurückgegriffen werden kann. Zugegeben, in diesem Fall gibt es ganz besondere Herausforderungen: die Dauer der Krise, ihre Intensität, aber auch das föderalistische Prinzip verteilter Verantwortungen. Und doch, ein paar Dinge fallen schon auf:

Erst denken, dann sprechen: Leider fühlen sich Verantwortliche gezwungen, etwas zu sagen, wann immer ihnen ein Mikrofon (oder ein Diktiergerät) vor die Nase gehalten wird. Egal was, aber die Air Time muss um jeden Preis genutzt werden. Die nach News lechzenden Medien verwerten jeden Halbsatz in fiebriger Erregung, die Echokammer der sozialen Medien bläst das Ganze weiter auf. Deshalb wäre oftmals mehr gedient mit „erst denken, dann schweigen“.

Empathie vor Technokratie: Erstaunlich, wie oft sich Experten oder Politiker in einem technokratischen, abgehobenen und distanzierten Ton über Massnahmen äussern, von denen sie wissen müssen, dass sie Menschen stark treffen werden, ohne ein Wort des Bedauerns und des Mitgefühls zu äussern. Diese Haltung hat denn auch in der Zivilgesellschaft berechtigterweise zu lautstarken Gegenreaktionen geführt.

Der Glaube an „streng geheim“: Wenn in einem Amt oder gar in einer Regierungsräte-Konferenz Corona-Papiere kursieren, so ist es unsinnig davon auszugehen, dass sie vertraulich bleiben. Der Sog von aussen (Medieninteresse), verbunden mit dem Druck von innen (sich zu profilieren oder seine Meinung durchzusetzen), führen fast zwangsweise zur Indiskretion. Deshalb sind breiter zirkulierende Dokumente mit Blick auf ihre mögliche Sprengkraft zu formulieren und es gilt rechtzeitig zu überlegen, wie man auf ein allfälliges Leck reagiert.

Micromanagement: Gerade bei Massnahmen, die sich an die gesamte Bevölkerung richten, wird oft zu wenig überlegt, ob ein Normalbürger überhaupt versteht, was von ihm nun genau verlangt wird. Ebenfalls wird der Zeitfaktor unterschätzt, bis sich eine neue Regel als Routine etabliert hat. Hüst und Hott sind daher Gift für Akzeptanz und gute Umsetzung von Massnahmen.

Prinzip Hoffnung: Es besteht eine starke Neigung, auf die kurze Frist hin zu dramatisieren (um Massnahmen zu begründen) und auf die längere Frist Optimismus zu verströmen, um nicht als Miesepeter oder Kassandra dazustehen: „Wenn wir jetzt sehr streng sind, ist alles ganz schnell vorbei.“ Dies spüren die Adressaten mit der Zeit, nehmen es als Neusprech wahr und fühlen sich manipuliert – was wiederum ein idealer Nährboden für Verschwörungstheorien ist.

Glaubwürdigkeit als höchstes Gut: Wer sich widersprüchlich oder abschätzig ausdrückt oder gar die Öffentlichkeit anlügt, hat verspielt und sollte nicht mehr eingesetzt werden. Glück gehabt, wenn es nur ein Experte ist, der durch ein anderes Gesicht ersetzt werden kann, dumm, wenn es einen vom Volk gewählten Regierungsrat oder gar einen Bundesrat trifft.

Dass so oft gesündigt wird, hat auch mit dem Stellenwert der Öffentlichkeitsarbeit in Behörden und Firmen zu tun. Kommunikation wird als das Verpacken von anderswo beschlossenen Inhalten in medien- und publikumsverträgliche Häppchen verstanden. Und wenn dann die Beschlüsse unsinniger Schrott sind, dann wird auch unsinniger Schrott kommuniziert.

Was hingegen meist fehlt, ist die strategischen Analyse und die psychologische Fundierung der Kommunikation, die schon bei der Entwicklung der Inhalte (in diesem Fall: der Corona-Massnahmen) erfolgen müssten, und zwar mit der Möglichkeit einer Rückkoppelung. Denn wenn sich etwas als unkommunizierbar erweist, ist es vielleicht auch sonst nicht so sinnvoll…

Wer die letzten Monate mitverfolgt hat, kommt unweigerlich zum Schluss, dass im Rahmen der Pandemie der strategische Aspekt der Kommunikation sträflich vernachlässigt wurde. Und wenn ich in die Kommunikationsstäbe blicke, sehe ich leider kaum durchsetzungsstarke Strategen und viele tendenziell überforderte Nachwuchskräfte.

Ich danke Kantonsrätin Anne-Claude Hensch Frei für die Anregung zu dieser Blogpost.

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Bildnachweis: htr.ch

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