Eine Nachlese zum Abstimmungssonntag vom 7. März 2021 aus Sicht der IT-Branche. Spoiler: Wir sind die Verlierer.

Ich weiss natürlich, dass der Mensch nicht wirklich rational ist, aber immerhin ein stets rationalisierendes Wesen. Vielleicht mit einer Ausnahme: Die IT-Branche ist zwingend der Rationalität unterworfen, die seit der Aufklärung das wissenschaftliche Denken prägt. Der Algorithmus, ohne den wir nicht auskommen, ist quasi Rationalität in Reinstform.

Wenn ich mich aber so in Politik und Gesellschaft umschaue, dann sehe ich einen schleichenden Pfad weg von der Rationalität – obwohl wir noch nie so stark von Technologie und Daten abhängig waren. Oder deswegen?

Wir wenden uns jedenfalls – wie am letzten Abstimmungswochenende – zunehmend von realen Fragestellungen ab und bewegen uns immer stärker auf der Ebene der Symbolpolitik. Wir lösen imaginäre Probleme dadurch, dass wir „Zeichen setzen“, was uns dann davon entbindet, uns den realen Herausforderungen zu stellen. Und uns ein gutes Gewissen verschafft. 

Obwohl zahlenmässig belegt ist, dass die Schweiz immer weniger Palmöl importiert, davon nur ein ganz kleiner Teil aus Indonesien stammt und dass Palmöl deutlich besser ist als die meisten Substitutionsprodukte, wird ein wichtiger Handelsvertrag um ein Haar torpediert, der beim Palmöl erst noch Verbesserungen bringt. Ein Nein hätte nur den Sinn gehabt, ein Zeichen zu setzen, auf das niemand gewartet hat (nicht einmal die Orang-Utans im Regenwald).

Oder nehmen wir das Burkaverbot, eine Kleidervorschrift in der Verfassung (!), bei der es in der Praxis um rund 30 Fälle in der Schweiz geht. Auch das ist rational nicht zu begründen. Corona-Vorschriften oder „Härtefall“-Regelungen in aller Welt und auch bei uns ergäben ebenfalls ein weites Feld für ähnliche Betrachtungen. Besonders symbolisch unterwegs sind die Corona-Leugner, welche die Pflicht zur Atemschutzmaske als brutale Knechtung durch den Staat empfinden (wollen). Immerhin stehen sie ein Stück weit zu ihrer Irrationalität, wenn sie sich als „Querdenker“ bezeichnen…

Aber was ist denn falsch an der Symbolpolitik, es geht ja „nur“ um Zeichen? Das Problem: Die Politik erliegt immer öfter der Versuchung, Herausforderungen nicht real, sondern symbolisch anzugehen. Aufwändige und widerständige Sachpolitik kann durch raffinierte und deutlich günstigere Public Relations ersetzt werden. Es gibt nur eine Grenze: Die Physik. Noch keine Regierung hat es geschafft, Naturkonstanten auszuhebeln und zum Beispiel die Schwerkraft zu regulieren. Aber tun würden sie es natürlich alle gern.

Wenn es nur noch um Symbole geht, müssen sich Wissenschaft und empirische Methodik aus der Politik verabschieden. Wissenschaft basiert einerseits auf Versuch und Irrtum, und andererseits auf der grundsätzliche Falsifizierbarkeit jeder Hypothese.

Damit kommen wir noch zur dritten nationalen Vorlage am letzten Wochenende, welche die IT-Wirtschaft in besonderem Mass betraf: die E-ID. Hier immerhin ging es nicht um Symbolpolitik, sondern um ein reale sachpolitische Entscheidung. In der Sache selbst kann man unterschiedlicher Meinung sein, und ich war diesbezüglich im Verlaufe der Jahre auch schwankend.

Dass das Nein dann so wuchtig ausfiel, hat aber auch viel mit Symbolik zu tun: Jahrelang ist mit dem Schweizer Pass als Metapher und auf Symbolbildern für die E-ID argumentiert worden (teilweise auch von mir selbst!). Die Gegner der E-ID konnten dann genüsslich darauf hinweisen, dass man den Pass auch nicht an der Coop-Kasse oder am UBS-Schalter beziehen will.

Wer wie zahlreiche Kommentatoren allerdings meint, jetzt käme rasch eine Ersatzlösung, täuscht sich gewaltig. Das zuständige Fedpol ist nach wie vor der Meinung, dass es mit der Herausgabe einer E-ID nichts zu tun haben will. Es wird alles tun, um ein entsprechendes Projekt zu hintertreiben. Und die staatskritische Fraktion der SVP, die Datenschutzfundis und die Aluhütler freuen sich schon darauf, in diese Schlacht zu ziehen.

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Photo von Arnaud Jaegers bei Unsplash

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