Wie die Ringwald-Studie in ihrer neuesten Auflage belegt: 94,8 Prozent der mittleren und grossen Unternehmen gaben im Jahr 2018 keine einzige eigene Marktforschung in Auftrag, sondern basierten ihre Projekte für die Geschäftsentwicklung ausschliesslich auf Marktbefragungen, die sie gratis und franko aus dem Internet heruntergeladen haben. Bei IT-Firmen dürfte der Wert tendenziell noch höher liegen.
Das Resultat muss einerseits erschrecken, weil dies bedeutet, dass insgesamt relativ wenig originäre Marktforschung stattfindet. Andererseits ist er verständlich, ist doch der Aufwand für eigene Studien nicht unbeträchtlich: Der Ressourcenverbrauch darf nicht unterschätzt werden. Es genügt ja nicht, einem Institut Geld in die Hand zu geben, der interne Vorlauf und die Nachbereitung können nicht ausgelagert werden und belasten das eigene Team. Es ist überdies keine gewagte These, dass irgendjemand schon mal die gleiche Frage abgeklärt hat, die auch die eigene Firma umtreibt.
Aber auch aus internen Gründen sind Studien unverzichtbar. Sagen Sie mal Ihrem Geschäftsführer, Ihr Bauchgefühl sage Ihnen, dass Szenario A plausibel sei. Er wird Sie trotz Ihren 30 Dienstjahren in der Firma nicht vom Haken lassen. Oder aber sagen sie ihm, die Studie X belege, dass A richtig sei, sie hätten auch einen Link dazu im Bericht. Dann ist die Sache erledigt.
Wenn ich nun die zahlreichen Studien aus dem Internet nicht einfach vorbehaltlos empfehlen kann, dann liegt das an verschiedenen Gründen:
Die Publikation dient in vielen Fällen primär der Erzielung von Aufmerksamkeit für den Auftraggeber. So besteht zum Beispiel das Kommunikationskonzept von Präservativherstellern und Datingplattformen einzig und allein darin, mit knackigen Studien kostenlos in die Medien zu gelangen. Wir erfahren dann flächendeckend von ’20 Minuten‘ über ‚Blick‘ bis ‚Watson‘, dass im Rentenalter Grönländer die ausdauerndsten Liebhaber seien und dass Südbulgaren unter 30 den längsten hätten. In der IT-Welt geht es (notgedrungen) etwas sittsamer zu und so sind es meist fachliche Themen, mit denen der Studienherausgeber auf sich aufmerksam machen will. In allen Fällen ist es jedoch so, dass nur besonders knackige und auffällige Ergebnisse das Potenzial haben, breit publiziert zu werden. So muss man sich dann immer fragen, was alles zur Fragestellung nicht publiziert wird, weil es einfach nicht spektakulär genug ist.
Die Publikation von Studienresultaten ist jedoch nicht immer dazu da, Aufmerksamkeit für das Unternehmen zu schaffen. Oftmals dient sie auch dazu, die kommerziellen Eigeninteressen des Auftraggebers zu pushen. Dafür muss man nicht unbedingt die Resultate fälschen, wenn es nicht wie gewünscht herauskommt. Man muss nur die Fragen geschickt genug stellen und die Zielgruppe geeignet definieren, dann sollte es problemlos klappen. Wenn Sie nicht wissen, wie das geht, fragen Sie doch mal bei einem Kollegen in der Tabakindustrie nach. Allerdings ist diese Masche mittlerweile bekannt und wird von kritischen Journalisten unangenehmerweise hinterfragt. Zum Glück gibt es „wissenschaftliche“ Journale und Symposien, die gern bereitstehen, um die eigenen Inhalte reinzuwaschen.
Nehmen wir an, Sie haben im Internet eine Studie gefunden, die weder aus PR-Gründen lanciert wurde noch Eigeninteressen des Auftraggebers befördert. Dann sollten Sie sich mit der Methodik der Untersuchung auseinandersetzen. Es gibt insbesondere zwei Probleme, die häufig auftauchen: Entweder ist die Stichprobe zu klein oder sie ist nicht repräsentativ. Es nützt Ihnen nichts, wenn die Basisstichprobe zum Beispiel tausend Personen umfasst, wenn die Frage, welche Sie konkret interessiert, nur von fünf Prozent beantwortet wurde. Denn damit schmilzt die Stichprobe faktisch auf 50 und der Fehlerbereich wird gigantisch. Oder aber die Stichprobe basiert auf freiwillig Teilnehmenden. Keine Chance, dass dies repräsentativ wird (es sei denn, man könne anhand von früheren Erhebungen daraus eine quasi-repräsentative Stichprobe konstruieren, wie dies bei Wahlumfragen passiert – Aber da müssen schon Profis ran.)
Weshalb nun heute diese Ausführungen zum Thema Marktstudien? Nun, ich habe vor ein paar Tagen einen IT-Fachjournalisten darauf angesprochen, warum er (einmal mehr) eine dieser weitgehend unbrauchbaren Schrottstudien publiziert habe. Er antwortete mir treuherzig: „Ja, ich weiss schon, aber es gibt für mich so gut wie keine Arbeit und die Klickzahlen sind ausgezeichnet.“ Es war übrigens kein Kollege von inside-it.ch bzw. inside-channels.ch (obwohl die manchmal auch die Studitis haben). Und ja, die eingangs erwähnte Ringwald-Studie gibt es natürlich nicht, aber ich brauchte doch einen Einstieg ins Thema…
Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meinerKolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch. Bild: Aargauer Zeitung