„Noch 355 Tag(e) bis zur neuen Ausschreibungsplattform des öffentlichen Beschaffungswesens der Schweiz, simap.ch“ verkündet heute die Website KISSimap.ch vor dem Hintergrund eines sich rötenden Alpenfirns (!). Letztmals hatte Inside-it.ch im letzten Februar über Simap berichtet – der Zähler für das Go-Live war gerade mal wieder um zwölf Monate in die Zukunft verschoben worden. Da Leserinnen und Leser dieses Mediums mit der Leidensgeschichte dieser Plattform vertraut sind, möchte ich sie hier nicht mit einer umfassenden Nacherzählung langweilen.

Um das Problem zu verstehen, genügt ein Blick auf die Startseite der scharfen Simap-Anwendung: Sie klebt, offensichtlich für 14-Zoll-Monitore optimiert, am linken Rand des Bildschirms und verkündet ihre eigene Obsoleszenz. Oder man werfe einen Blick auf das „Medien-Informationen Archiv“ der Seite: Es beginnt hoffnungsfroh im Juni 2009 mit der Meldung „Die neue Plattform wird von 23 Kantonen und dem Bund genutzt“ (PDF). Und endet mit „Simap-Ausbau aus Sicht BPUK“ (PDF) im März 2014. Danach: Nichts, niente, nada, rien: Seit über neun Jahren wurde keine einzige Medieninformation mehr aufgeschaltet.

Handlungsbedarf ausgewiesen

Immerhin, Anfang 2020 wurde mit dem Neustart des Projekts unter dem Label KISSimap die Kommunikationsarbeit wieder aufgenommen – KIS steht dabei für „Keep it simple“. Nur ein Jahr später, 2021, wurde eine Website für das Projekt aufgeschaltet. Auf ihr dominiert heute die Auflistung der über 50 (!) Mitglieder des Projektteams. Und in Vlogs beschreiben Team-Mitglieder, wie die Website mal funktionieren könnte. Gegenüber den bisherigen Eingabemöglichkeiten und Masken von simap.ch liegen wie zu erwarten Welten. Der Handlungsbedarf ist aber auch da: Seit 2021 ist mit dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungsrecht (BöB) eine neue, mit den Kantonen harmonisierte rechtliche Grundlage in Kraft, welche neue Möglichkeiten geschaffen hat, die mit dem heutigen Simap nur ungenügend abgebildet werden können.

Natürlich liegen die Probleme nicht primär bei der Plattform selbst. Das Beschaffungswesen ist immer noch zu stark von der Preiskomponente geprägt. Am Schluss interessiert vor allem der Vergabebetrag (woran natürlich auch gwundrige Parlamentarier und Medien nicht ganz unschuldig sind). Das BöB zählt zwar ausdrücklich auf, dass man auch Kreativität, Kundendienst, Lieferbedingungen, Infrastruktur, Innovationsgehalt, Funktionalität, Servicebereitschaft, Fachkompetenz, Effizienz der Methodik, Lebenszykluskosten und Nachhaltigkeit einbeziehen könnte. Am Schluss bleibt jedoch der Preis das beherrschende Kriterium. Dabei liefert gerade der Projektabbruch von 2019 für die Simap-Plattform selbst reichlich Anschauungsmaterial dafür, weshalb die billigste Lösung am Schluss oft die teuerste ist. Dann nämlich, wenn zu Akkordpreisen Nachbesserungen nötig werden oder wie hier ganz abgebrochen werden muss.

Eile mit Weile

Das Tempo bleibt ein Riesenproblem des Projekts, auch bei diesem neuesten Anlauf. Es geht in eher gemächlichen 3-Wochen-Sprints vorwärts und die Arbeiten dauern offensichtlich deutlich länger als geplant. Man erinnert sich: An der Beschaffungskonferenz 2021 in Bern wurde bekanntgegeben, Mitte 2023 komme die neue Plattform und Ende 2023 werde simap.ch abgeschaltet. Damit hätte die Entwicklung schon sehr lange dreieinhalb Jahre gedauert. Nun sind viereinhalb angekündigt, obwohl der Leistungsumfang gegenüber den bisherigen Möglichkeiten nicht wesentlich ausgebaut wird: digitale Offerteinreichung (mit qualifizierter Signatur) und die Unterstützung von e-Forms der EU stehen im Vordergrund. Alles andere kommt dann allenfalls in die Realisierungseinheiten 2 bis 4, welchen nochmals drei bis vier Jahre erfordern sollen.

Damit steigt die Gefahr exponentiell an, dass teure Nachjustierungen und Aktualisierungen implementiert werden müssen, bevor die Plattform überhaupt steht. Das heute sicher relevante Thema KI ist zum Beispiel soweit ersichtlich überhaupt nicht adressiert.

Wird’s diesmal klappen?

Bereits zwei Monate nach meinem Amtsantritt als Swico-Geschäftsführer habe ich 2012 in der ‚NZZ‘ in einem Gastbeitrag gegen die unerträglichen Verhältnisse im Schweizer Beschaffungswesen vom Leder gezogen (Paywall), und in dieser Kolumne bin ich häufiger auf das Thema zurückgekommen. Es wäre falsch zu sagen, dass es keine positiven Entwicklungen gegeben hätte, aber sie erfolgten in mikroskopisch kleinen Schritten. Das quälend langsame Herunterzählen der Tage auf der KISSimap-Seite macht dies einmal mehr deutlich. Und leider ohne jede Gewähr, dass es am 1. Juli 2024 wirklich so weit ist und es danach besser wird. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass mir das Thema auch in Zukunft noch einige Mal Stoff für Kolumnen liefern wird …

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch auf inside-it.ch. Foto von Martin Zenker auf Unsplash

Kommentare anzeigenKommentare verbergen

Kommentar hinterlassen