Was mir nach vier Tagen Eintauchen ins Startup-Universum klar(er) geworden ist.
Wir alle kennen die Firmenbesuche, bei denen ein hoher Chef von weit weg eingeflogen, vom CEO empfangen und mit einem Briefing versorgt wird, eine sorgfältig choreografierte Demo erhält und dann noch kurz durch die Räume geführt wird, die vorher schön aufgeräumt wurden. Bei einem Apéro mit der Geschäftsleitung erklärt sich der Besucher anschliessend tief beeindruckt und entschwindet nach 90 Minuten wieder – und alle sind zufrieden.
Nun, mein Eintritt in den Verwaltungsrat des Startup Smeetz in Renens fiel so ziemlich genau auf den Beginn der Pandemie. Und so stellte ich mir die Frage: Wie sieht es hinter den Mails, Dokumenten und Zoom-Calls wirklich aus in dem Unternehmen, für das ich Mitverantwortung trage? Was machen die fast dreissig Mitarbeitenden so den lieben langen Tag? CEO Alexandre Martin bot mir einen mehrtägigen Stage an, um temporär Teil des Teams zu werden. Das passte mir hervorragend, kommen doch Ferien auf dem Bauernhof für mich eher nicht in Frage – angesichts der Wetterbeständigkeit dieses Sommers sowieso…
Damit ergab sich die Gelegenheit, ein paar allgemeine Erkenntnisse aus meiner Tätigkeit als Business Angel auf dem Feld zu überprüfen, die ich gern mit meinen Leserinnen und Lesern teilen will. Was also sind die besonderen Herausforderungen von Startups, insbesondere bei SaaS-Anbietern für den B2B-Bereich?
Kosten- und Erfolgsfaktor Kundendienst
Eine Disziplin, die oft unterschätzt wird, ist der Kundendienst (auf Denglisch Customer Success Management; CSM). Theoretisch lässt sich ja alles über Algorithmen lösen, so dass es keinerlei Betreuung und Support braucht. Praktisch zeigt sich jedoch fast immer, dass gerade bei sich laufend weiter entwickelnden Produkten (wie bei SaaS üblich) eine Form von Unterstützung für die Kunden bzw. deren Mitarbeitende oder Abnehmer unabdingbar ist. Dies ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, da die Lösung laufend weiter entwickelt wird und sich so permanent verändert. Es geht aber auch darum, Bugs möglichst rechtzeitig zu ermitteln und bei den Kunden Up- und Cross-Selling zu betreiben. Nicht zuletzt soll CSM auch wichtige Hinweise für die zukünftige Produktentwicklung geben und ist wesentlich für die Kundenzufriedenheit.
Ein Team dafür zu schulen, die Kapazitäten über Sprach- und Zeitzonen hinweg zu managen, das ist aufwändig und kostenintensiv, doch es führt kein Weg daran vorbei. Die Herausforderung ist daher, Wissensmanagement, Kundenschulung, genügend Ressourcen und Kostenkontrolle im Gleichgewicht zu behalten, bevor in einer späteren Phase, wenn die Entwicklungsschritte weniger gross werden, mit dosierter Automatisierung der Aufwand pro Kunde reduziert werden kann.
Outsourcing ist kein Selbstläufer
Entwicklung für SaaS-Startups findet weder im Backend- noch im Frontend-Bereich in der Schweiz statt, die Kosten sind einfach zu hoch und das Personalreservoir zu dünn. Osteuropa und Nordafrika haben sich als Standorte etabliert, da sie kulturell, sprachlich und zeitzonenmässig einfacher zu managen sind als die noch günstigeren Standorte in Fernost.
Allerdings gibt es da durchaus Stolpersteine: Nicht nur in der Schweiz wird genau hingeschaut, ob es sich bei diesen Entwicklern um Scheinselbständige handelt und ob die Sozialversicherungsabgaben korrekt abgerechnet werden. Das Zwischenschalten einer Vermittlungsagentur erspart einem zwar diese Sorgen, aber es geht ganz schön ins Geld, etwas, was in Startups bekanntermassen rar ist. In Corona-Zeiten hat die Online-Akquisition von Entwicklern besondere Tücken, wie Clemens Schuster, CEO von Politik.ch (ebenfalls in meinem Portfolio) kürzlich in der Luzerner Zeitung berichtete.
Prüfstein Expansion ins Ausland
Es gehört zum Standard-Narrativ von hiesigen Startups, dass die Expansion ins Ausland kein Problem darstellt, denn schliesslich sei die mehrsprachige Schweiz eine Art Mini-Ausgabe von Europa und der Welt. Globales Wirtschaften liege in unserer DNA. Die Realität sieht auch hier anders aus. Der Schritt ins Ausland ist der unabdingbare und entscheidende Prüfstein, ob ein B2B-Startup es wirklich schafft. Und es ist keineswegs einfach, in einem anderen Land, meist ohne eigenes Netzwerk Fuss zu fassen. Die Markteintrittskosten sind hoch, das Risiko, auf die falschen Leute und Kundensegmente zu setzen, ebenso. Eine Firma, die es nicht schafft, kann durchaus weiter existieren, allerdings dann als selbstgenügsames KMU im eigenen Land. Das muss nicht schlecht sein, entspricht aber natürlich nicht der Vision von einem Unicorn.
Wenn die Gründer einen Schritt zurück machen müssen
Startups werden im SaaS-Bereich oft von (männlichen) Nerds aus ETH, EPFL oder Fachhochschulen gegründet, wenn’s gut geht zusammen mit einem Kollegen aus der Betriebswirtschaft. Sie kennen sich bestens und arbeiten auf der gleichen Wellenlänge, teilen die gleichen Werte und die gleiche Vision. Das geht so lange gut, bis Verkauf, Marketing, Operations, CSM und HR zu zentralen Themen werden. Wer es nicht rechtzeitig schafft, das Führungsteam zu erweitern und diese Disziplinen vollwertig ins Management zu integrieren, hat für die Zukunft schlechte Karten. Die Gründer müssen lernen, dass sie selbst trotz Aktienmehrheit nicht allwissend sind und im Alltag auf die Fachkompetenz anderer Führungskräfte hören müssen. Was es im Management ebenfalls braucht: Mentale Stärke und gute Nerven. Denn nach der Finanzierungsrunde ist immer auch vor der Finanzierungsrunde – und Liquidität ein scheues Reh.
Wie steht’s mit der Tinte?
Zurück zu Smeetz: Vier vollgepackte Tage mit Einzelgesprächen, Marketing-, Sales-, Kundendienst- und GL-Meetings, Workshops sowie einem Treffen mit einer Venture-Capital-Firma halfen mir enorm, nicht nur das Unternehmen selbst besser zu verstehen, sondern den Startup-Groove am eigenen Leib zu erleben. Schade nur, dass ich mich mit den Entwicklern im Ausland nicht näher austauschen konnte, obwohl ich in der Zoom-Vollversammlung ihr hohes Engagement spüren konnte.
Zum (anekdotischen) Schluss: Smeetz hat das papierlose Büro lückenlos umgesetzt. Dies geht so lange gut, bis für Identitätsnachweise eine qualifizierte Online-Signatur notwendig wird. Dann heisst es, den einzigen Inkjet-Drucker auszupacken und zu hoffen, dass die Tintenpatrone nicht ausgetrocknet ist. Denn ohne Papierausdruck der Identitätskarte kommt man in der analogen Behördenwelt immer noch nicht weiter…
[Adaptation meiner Monatskolumne „Von Hensch zu Mensch“ auf Inside-it.ch und Inside-channels.ch]