Es gibt nur wenige Rituale, die in Firmen aller Branchen und Grössen gleichermassen verbreitet sind wie das Weihnachtsessen. Der Anlass findet entgegen seinem Namen nicht an Weihnachten selbst statt, weil dieser Termin strikt der Familie vorbehalten ist. Das Weihnachtsessen kann daher durchaus schon im November oder erst im Februar stattfinden (einfach mit mehr oder weniger lustigen Chlausmützen in der Deko).

Nun haben jedoch die letzten zwei Jahre das Weihnachtsessen als Institution in arge Bedrängnis gebracht. Viele Chefs freuten sich insgeheim und sahen den Moment gekommen, den aus ihrer Sicht unsinnigen Anlass abzuschaffen (oder immerhin vorerst einmal auszusetzen).

Es läppert sich

Denn natürlich gibt es Gründe, die aus Sicht eines Chefs gegen das Weihnachtsessen sprechen. Der Kostenfaktor ist durchaus relevant, kommt man doch mit allem Drumherum kaum mit weniger als 100 Franken pro Kopf durch. Bei Banken und Vermögensverwaltern kann es auch gut gegen 1000 Franken gehen: Man hat ja doch gewisse Standards, die man nicht einmal für interne Anlässe unterschreiten will.

Dann besteht das Risiko, dass sich der Chef mit einer launigen Ansprache unmöglich macht, weil der Inhalt der Rede und sein Verhalten an Nicht-Weihnachtsessen-Tagen in unauflösbarem Widerspruch steht. Oder weil seine Rhetorik der Aufgabe nicht gewachsen ist – oder die eingestreuten Anekdoten und plumpen Scherze einfach zu peinlich sind. Profis halten daher solche Reden erst später am Abend, wenn die Wahrnehmung der übrigen Teilnehmenden schon etwas getrübt ist (Nachteil: Der Redner muss sich selbst mit den Drinks zurückhalten). Wahre Cracks halten gar keine Rede, sondern überlassen es einem Kollegen, sich als Maitre des Plaisirs zum Affen zu machen – übrigens auch ein guter Weg, um einem etwas aufmüpfigen GL-Mitglied zu zeigen, wo sein Platz ist.

Gegen Weihnachtsessen spricht aus Sicht der Firmenleitung auch, dass oftmals eine Stimmung entsteht, in welcher Mitarbeitende mit gelöster Zunge offen sagen wollen, was sie von ihren Kolleginnen und Kollegen, oder gar von ihren Chefs halten. Natürlich kommt es nur jedes dritte Mal wirklich zu Handgreiflichkeiten, doch die durch solche «Wahrheiten» verursachten inneren Verwundungen können auf Jahre hinaus das Firmenklima vergiften. Und im Folgejahr wird damit die Sitzordnung am Weihnachtsessen nochmals anspruchsvoller.

Aufgepasst beim Wichteln

Einen Vorteil haben die Weihnachtsessen allerdings: Sie dienen der Entsorgung der Massenware, welche sich Firmen gegenseitig zusenden, um sich angeblich alles Gute zu den Festtagen zu wünschen. Beim fröhlichen Wichteln werden zwischen Hauptgang und Dessert die hässlichen und nutzlosen Gegenstände mit überdimensioniertem Branding denjenigen zugelost, welche am wenigsten damit anfangen können. Die wirklich wertvollen Firmengeschenke gehen ja sowieso per Kurier an die Privatadresse des Einkäufers.

Zunehmend weniger relevant, aber in verschiedenen Firmen immer noch ein Thema, ist das Duzismachen an Firmenanlässen. Während das Problem im englischen Sprachraum nicht existiert, kann man in Deutschland noch auf intakte autoritäre Strukturen bauen («Für Sie immer noch Dr. Dr. Mögenbruch, wenn ich bitten darf!»). In der Schweiz hingegen sind die Grenzen bekanntlich eher fliessend, was auch Differenzierungen schwierig bis unmöglich macht. Sich am Weihnachtessen dem Duzis zu entziehen, erfordert hohe Wachsamkeit und ein ausgefeiltes Positionsspiel.

Dass Weihnachtessen auch die Geburtenrate positiv beeinflussen, weil man sich geplant oder ungeplant zu nahe kommt, gehört hingegen eher in die Klamottenkiste der Witzbücher aus den sechziger Jahren. Überhaupt sorgt die Verbreitung von Smartphones und die Bedeutung von sozialen Medien dafür, dass sich niemand mehr in einer unfotogenen Situation erwischen lassen will. Wer nicht auf Selfies steht, sucht in der Tischrunde nach Sujets, die ihm auf den Plattformen von Facebook (für die Älteren) bis TikTok (für die Jüngeren) Likes bescheren – oder den Intimfeind der Lächerlichkeit preisgeben.

Das Aufkommen der Freelancer und der Gig Economy macht die Organisation von Weihnachtsessen auch nicht einfacher. Denn einerseits ist der Event eine prima Gelegenheit, um diese für das Unternehmen wichtigen Leistungsträger persönlich und ausserhalb der Arbeit näher kennenzulernen. Andererseits: Wer kommt für den Flug Aruba – Zürich retour auf?

Und dennoch: Ist es nicht doch etwas traurig, wie viele Weihnachtsessen dieses Jahr der Pandemie zum Opfer fallen? Freuen wir uns darum schon heute auf den Sommer – dann ist Firmenausflug!

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Photo by Priscilla Du Preez on Unsplash

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