Nein, nein, nein: Wir haben in der Schweiz kein Silicon Valley, werden auch keines haben und wollen es auch gar nicht! So möchte ich den Aargauer Politikern entgegenschleudern, die vor einigen Tagen beim Spatenstich für den Innovationspark „Innovaare“ in Villigen den Begriff einmal mehr (über-)strapaziert haben.

Natürlich sind sie nicht die einzigen, welche diesen Vergleich zu Tode reiten. In der Schweiz hat es vermutlich Dutzende Silicon-Valley-Anwärter, vom Rest der Welt ganz zu schweigen. Warum reagiere ich so empfindlich auf diesen Begriff? Wir sprechen doch auch sonst gerne in Bildern, die mehr oder weniger passen. Weshalb die Aufregung?

Weil der Begriff impliziert, dass man ein einzigartiges, in Jahrzehnten herangereiftes Ökosystem mit ein paar schönen Reden, etwas Strukturpolitik und üppigen Subventionen kurz spitz auf unsere Verhältnisse übertragen kann. Es ist eben nicht so,  dass ein Silicon Valley einfach mal so rasch entsteht, wann immer sich eine Softwarebude und ein Co-Working-Space neben der Kantine einer Fachhochschule niederlassen.

Der Heimmarkt der USA ist 40 Mal grösser als die Schweiz und bietet einen einheitlichen Rechtsraum an, der ganz andere Skaleneffekte ermöglicht, was heute für Techfirmen entscheidend ist. Auch was die Sprache anbelangt, ist man von Anfang an mit Englisch als globaler Lingua Franca wesentlich besser bedient.

Schweizerinnen und Schweizer setzen sich ungern Risiken aus. Gründer haben hier oft nebenher einen Brot- und Butterjob – zur Sicherheit. Der Idealtypus bei uns ist der Angestellte mit Karriere und Dritter Säule, nicht der Firmengründer und Selfmademan wie in den USA. Wir setzen auch nicht alles auf eine Karte, so fehlt oft der ultimative Einsatz fehlt, das Alles oder Nichts, das es manchmal braucht.

Und Schweizer tun auch gut daran, vorsichtig zu sein, denn der berufliche Misserfolg kann rasch einmal zur sozialen Ächtung führen. Im Gegensatz dazu nimmt man im wirklichen Silicon Valley einen Gründer gar nicht richtig ernst, wenn er nicht schon die Erfahrung von ein, zwei Konkursen mitbringt.

Diese Mentalität sorgt auch im Arbeitsrecht für ein Regime des ungehinderten „hire and fire“, was gerade in Wachstumsphasen, bei Restrukturierungen und in Change-Prozessen hohe Flexibilität verleiht, aber mit unserem Schweizer Verständnis der Sozialpartnerschaft unvereinbar ist. Überhaupt, der Arbeitnehmerschutz: Unsere Regeln der Arbeitszeiterfassung, zum Beispiel, sind für US-Firmen unvorstellbar (was ja auch in ihren Schweizer Niederlassungen immer mal wieder für Wirbel sorgt).

Die Flexibilität der Rahmenbedingungen ist aber auch in anderen Bereichen bemerkenswert. Denken wir an den Datenschutz. Während wir hier in Europa jede noch so abstrakte Gefahr möglichst schon im Keim ersticken wollen, ist der Ansatz in den USA: Macht mal, und wenn niemand klagt, ist alles gut.

Dann wäre da noch das hoch kompetitive und elitäre Universitätswesen, das mit der egalitären Einstellung hier kollidiert. Und dank hoher Durchlässigkeit zwischen Akademie und Business ist dort der Transfer zwischen beiden Welten sehr schnell und intensiv – selbst wenn wir mittlerweile auch das eine oder andere Hochschul-Spinoff aufweisen.

Wenn ich eingangs geschrieben habe, dass wir vermutlich auch gar kein Silicon Valley wollen, dann bezog ich mich auf die Kollateralschäden dieses einzigartigen Biotops. Das Leben im Hamsterrad kann brutal hart sein, die soziale Absicherung liegt nahe bei null. Zehntausende leben nicht in einer Villa am Strand oder in einem hippen Condo in Palo Alto, sondern schlicht in ihrem Wagen, weil es keinen bezahlbaren Wohnraum gibt. Dabei sprechen wir nicht von Arbeitslosen, sondern von Vollzeit-Angestellten bei grossen Techfirmen. Von den wirklich Unterbemittelten will ich jetzt gar nicht sprechen. Ich bin ziemlich sicher, so haben sich der Regierungsrat und der Gemeindeammann beim Spatenstich die Zukunft des Aaretals nicht vorgestellt.

Also: Wir werden niemals ein Silicon Valley haben – und das ist o.k. Konzentrieren wir uns stattdessen auf unsere Stärken (die würden nämlich noch mindestens einen Blogpost füllen). Auch wenn das bedeutet, dass im malerischen Aaretal nie eine Herde von Einhörnern grasen wird.

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Bild: Jean-Marc Hensch

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