„Du bist doch viel in den sozialen Medien unterwegs. Könntest du mir nicht einmal erklären, …“ Diese Frage höre ich oft, und zwar nicht nur von digital deprivierten Bäckern, Coiffeusen oder Rentnern, sondern auch von gestandenden ICT-Managern oder Start-up-Unternehmerinnen.

Nun wird im Bereich Social Media heute sehr stark über den Begriff „sozial“ diskutiert, angesichts Empörungsspiralen, Hassreden, Trollkampagnen und Shitstorms ein sehr berechtigter Aspekt. Fürs Verständnis wichtiger scheint mir jedoch, den Begriff „Medien“ zu hinterfragen. Viele dieser Plattformen sind nämlich nicht Medien, sondern Netzwerke.

LinkedIn, Xing und Facebook basieren auf dem Prinzip, dass ich mich (dem Grundsatz nach zumindest) nur mit jemandem verlinken kann, wenn auch er mich akzeptiert. Das Prinzip der Gegenseitigkeit impliziert die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der zwei involvierten Personen (Anfrager und Angefragter). Um erfolgreich zu sein, wird jedes Mitglied des Netzwerks versuchen, auf der Plattform attraktiv und interessant zu wirken, um sein Netzwerk zu erweitern. Vor fünf Tagen bekam ich zum Beispiel die LinkedIn-Anfrage einer Person, die sich als „Global Influencer und World Expert“ andient (und doch habe ich sie schnöde abgelehnt).

Im Gegensatz dazu sind Twitter und Instagram, aber auch Snapchat und Tiktok wirklich Medien, sie basieren auf dem Prinzip von Sender und Empfänger. Eine Seite sendet Botschaften aus, die andere ist bereit, diese zu konsumieren, sie evtl. zu kommentieren und weiterzuverbreiten. Es besteht somit ein Gefälle. Der Sender will, dass jeder ihn empfangen kann, wer auch immer es ist, Freund, Gegner oder Schwiegermutter. So bin ich zwar auf Twitter Follower unserer Bundespräsidentin, sie aber hat keine Ahnung, wer ich bin.

Je nachdem, ob das Prinzip Gleichordnung oder Unterordnung greift, ist die Beziehungsstruktur völlig unterschiedlich: Ob ich mit Roger Federer befreundet bin (und damit auch er mit mir), ist etwas ganz Anderes, als wenn ich ihm einfach folge, weil ich erfahren will, was er zu seinem letzten Spiel meint. Damit ist auch gesagt, dass ich bei Twitter (und Instagram) völlig inaktiv als Rezipient unterwegs sein kann, dass ich passiv die mich interessierenden „Medienproduzenten“ verfolgen kann, ohne je selbst einen einzigen Tweet bzw. Post abzusetzen. Ich kann das sogar anonym tun und muss mich nicht einmal bei der Plattform anmelden. Für Journalisten (und Stalker) eine sehr spannende Konstellation. Dabei ist die Rolle von Sender und Empfänger nicht fix verteilt, da jeder (der angemeldet ist) in die eine oder andere Rolle schlüpfen kann.

Weil viele das Netzwerk-Prinzip von Facebook im Kopf haben, durchschauen sie die mediale Power von Twitter nicht: Jeder Tweet, der abgesetzt wird, kann von jedermann sofort auf der ganzen Welt eingesehen werden. Das „Followen“ dient nur dazu, aus diesem Universum an Botschaften die Auswahl effizienter zu treffen. Facebook hat dies schon länger erkannt und stellt auch Möglichkeiten zur Verfügung, um als Medium zu senden.

Diese spezielle Qualität ist der Grund, weshalb Twitter bei Medienleuten als Recherchetool so beliebt ist, und warum in der Folge insbesondere Politiker diese Bühne sehr aktiv bespielen. Oftmals erfahre ich wichtige Entwicklungen auf Twitter, lange (= Minuten bis Stunden) bevor die klassischen Medien diese als „BREAKING“ pushen. Natürlich setzt dies voraus, dass ich den richtigen Leuten folge. Oftmals sind Betroffene, Aktivisten und News-Journalisten die schnellsten Info-Lieferanten. Wie wir alle wissen, bedeutet allerdings schnell nicht unbedingt akkurat und richtig – und schon gar nicht neutral und objektiv. Dies ist insofern unproblematisch, als die „Tweetosphere“ sofort auf Falschinformationen reagiert; Korrekturen von dritter Seite folgen auf dem Fuss. Zu bewerten, wo die Wahrheit und die Fakten wirklich liegen, ist natürlich eine ganz andere Geschichte – welche auch den klassischen Medien Kopfzerbrechen bereiten kann.

Wer sich über die Fülle an unflätigen, falschen, bösartigen, dummen und hasserfüllten Inhalten beschwert, sollte sich die Frage stellen, weshalb denn dieser Content unter seine Augen gelangt. Besonders bei den Netzwerken sehe ich als Nutzer nur den Ausschnitt der Plattform, mit dem ich mich verbunden habe, bei den Medien diejenigen Sender, denen ich folge. Wenn darunter mehr radikale Islamisten oder Neonazis als katzenvernarrte Grossmütter und Ikebana-Fans sind, dann sollte ich mich selbst an der Nase nehmen. Zügeln der Neugier bzw. der Gier nach Sensationen und extremen Inhalten ist durchaus angebracht, weil einen der ständige Kontakt mit abstossenden Inhalten ganz schön runterziehen kann. Psychohygiene kann in diesem Bereich sicher nicht schaden!

Mir ruft die eingangs erwähnte Frage nach Sinn und Funktion von sozialen Medien immer wieder in Erinnerung, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen auch in unserer Branche problemlos gut damit leben kann, nicht Teil dieser Filterblasen zu sein. All diese Junkies, die meinen, sie seien damit stets am Puls des Geschehens. Zu denen gehöre ich selbst natürlich nicht, muss allerdings die Kolumne jetzt grad etwas abrupt beenden, denn soeben haben @realdonaldtrump und @speakerpelosi begonnen, sich drüben auf Twitter zu battlen…

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Foto: Merakist on Unsplash

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