Was das Zusammengehen von ICTswitzerland und Digitalswitzerland für die Branche bedeutet.
Nach der Verlobung im Juli ist nun der Ehevertrag besiegelt und das Hochzeitsdatum bekannt: ICTswitzerland und Digitalswitzerland fusionieren auf den 1. Januar 2021. Endlich mal wieder ein Schritt zur Reduktion der Anzahl Organisationen, die viele in der ICT-Branche nervt (wobei am lautesten diejenigen schreien, die sich in keinem Verband oder sonstwie engagieren…).
Rückblende
Beiden Verbänden ist gemeinsam, dass sie nicht von der Branche aus eigener Kraft aufgebaut wurden, sondern von aussen angestossen und vor allem finanziert wurden. Dazu ein kurzer Blick in die Vergangenheit:
Nach einer gescheiterten Fusion mit SwissICT und SI im Jahr 2009 wurde ICTswitzerland den anderen Verbänden als Dachverband übergestülpt. Statt einer Reduktion der Anzahl Verbände gab es einen mehr. Die Schaffung von ICTswitzerland war jedoch eine Bedingung, um von den grossen Anwendern Credit Suisse und Swisscom Mittel in Millionenhöhe für die Berufsbildung zu erhalten. Obwohl die Branche schon damals über Nachwuchsmangel klagte, war sie zuvor nicht in der Lage gewesen, sich zusammenzuraufen – ein Armutszeugnis. Doch dank diesem äusseren Anstoss wurde ICT Berufsbildung endlich Realität – und eine Erfolgsgeschichte.
2015 unter dem Namen „Digital Zurich 2025“ gegründet, machte sich Digitalswitzerland in der Startphase vor allem als Ego-Projekt des Medienmoguls Marc Walder bemerkbar. Die Organisation versammelte CEO von privaten und staatsnahen Betrieben mit Nachholbedarf an digitalem Profil und genoss das Wohlwollen des Bundesrats. Mit breiter Berichterstattung in den Ringiermedien bis hin zur Homestory in der Schweizer Illustrierten wurde bei der Bevölkerung für die Digitalisierung und das PR-Profil der beteiligten Firmenbosse geweibelt. Etwas Neues waren die Digitaltage, welche bis heute als Mega-Happenings inszeniert und landauf, landab abgefeiert werden.
Dieser kurze Blick zurück war notwendig, um besser zu verstehen, welche Herausforderungen die neue Struktur bewältigen muss. ‚ICTjournal‘ stellte vor ein paar Tagen im Zusammenhang mit der Fusion die berechtigte Frage: „Machin ou machine?“ auf Deutsch in etwa: „Krüsimüsi oder Kriegsmaschine?“.
Abschied aus der Politik
Ich sehe in der Fusion vor allem eine wesentliche Stärkung der grossen Mitgliedverbände von ICTswitzerland: Swico, asut und SwissICT. Diese mussten bisher immer aufpassen, dass sie ICTswitzerland auf der politischen Bühne nicht ins Gehege kamen. Denn mit einem Präsidium aus Politikern (zuerst Ruedi Noser, dann Marcel Dobler und Franz Grüter) kommunizierte ICTswitzerland einen politischen Anspruch – den es allerdings jenseits von Networking nie wirklich einzulösen vermochte.
Nun ist jedoch klar, dass der neue Dachverband Digitalswitzerland keine politischen Ambitionen mehr hat beziehungsweise haben kann. Ein recht grosser Teil seines Führungspersonals und der Mitgliedsfirmen steht in Abhängigkeit vom Staat, sei es als vom Bund kontrolliertes Unternehmen, sei es als öffentliche Bildungsinstitution. Undenkbar, dass der neue Verband dem Bundesrat auf die Finger klopft, wenn Brancheninteressen in Gefahr sind. Das einzige wirklich politische Projekt, das namentlich erwähnt wird, ist bezeichnenderweise die E-ID, welche jedoch sowieso voll auf Regierungslinie ist. Politische Speerspitze der ICT-Branche wird damit wohl Swico, der – wie der Zufall so will – seit 2019 eine veritable, im Digitalen bewanderte Nationalrätin als Geschäftsführerin hat.
Auf die Stärken konzentrieren
So kann sich das neue Digitalswitzerland auf das konzentrieren, was die beiden Verbände bisher schon gut konnten. Fachlich liegt der Fokus von ICTswitzerland neben der Berufsbildung auf Cybersecurity, einem Thema, das heutzutage alle Aufmerksamkeit verdient. Dies muss so bleiben. Und das „alte“ Digitalswitzerland hat sich als Popularisierungsplattform für die Digitalisierung bewährt. Dies muss ja nicht primär die Branchenexponenten erreichen, sondern soll in die Breite der Wirtschaft und der Bevölkerung getragen werden.
Damit die Fusion erfolgreich ist, müssen auch Management und Governance auf der Höhe sein. Nachdem in den letzten Jahren Digitalswitzerland gern mit der grossen Kelle angerichtet hat und zeitweise in finanzielle Schieflage geraten war, kam es zu Turbulenzen bei den Mitgliedfirmen, welche das Finanzgebaren infrage stellten.
Nun ist die Chance da, ein neues Regime aufzuziehen, bei dem Schein und Sein stärker übereinstimmen. Damit wird auch die Gefahr gebannt, dass der neue Superverband zum „Machin“ verkommt. Der ganzen Branche wäre es unbedingt zu wünschen.
Offenlegung: Der Verfasser war bis vor einem Jahr Geschäftsführer von Swico.
Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Foto von IT-Markt