Anfang Jahr habe ich mich wie viele andere aus der Branche über das Verhalten eines IT-Anbieters echauffiert: Dieser warf dem Kanton Zürich nach 15 Jahren Entwicklungsarbeit den Auftrag für die vereinbarte Justizvollzugs-Applikation vor die Füsse, gab das Mandat auf und verkaufte gleich noch den ganzen Geschäftsbereich.

Ich war damals der Meinung, dies sei ein singulärer Fall, unter anderem der speziellen Konstellation eines öffentlich-rechtlichen Auftraggebers und eines halbstaatlichen Dienstleisters geschuldet.

Dem ist offenbar nicht so. Mir wurden in letzter Zeit verschiedentlich Fälle zugetragen, bei denen Lieferanten laufende Aufträge Knall auf Fall zurückgegeben haben – und zwar auch in der Privatwirtschaft.

Und plötzlich steigt der Lieferant aus

Der Ablauf ist in den meisten Fällen ähnlich: Es geht um eine (komplexe) Applikation, die für die ganz spezifischen Bedürfnisse des Kunden massgeschneidert werden soll. Die Arbeiten laufen an, wie üblich ist das Zeitbudget zu optimistisch und die Kosten galoppieren davon. Der Auftraggeber äussert Bedenken, hat aber auch Zusatzwünsche, der Auftragnehmer stellt regelmässig Rechnung, man rauft sich zusammen – soweit alles «normal». Bis zu dem Tag, an dem der Auftragnehmer auf der Matte steht und mitteilt, dass er den Auftrag nicht wie gewünscht ausführen kann und ihn – leider, leider – unerledigt zurückgeben muss. Er trage natürlich die Konsequenzen.

Solche Fälle scheinen zuzunehmen. Aber aus welchen Gründen? Ich sehe da verschiedene Erklärungsansätze:

Nun, der IT-Branche geht es glänzend, sie kann sich vor Aufträgen kaum retten. Und wenn die Kunden vor der Türe Schlange stehen, kann ein einzelner, vielleicht sogar wenig rentabler Auftrag problemlos aufgegeben werden. Unter diesen Umständen ist auch der Reputationsverlust leicht zu verschmerzen. Und dieser dürfte nicht allzu gross sein, denn auch der Auftraggeber hat nicht unbedingt ein Interesse daran, gross nach aussen über sein Scheitern zu informieren. Es ist daher ein Ausreisser, wenn einmal, wie im Fall der Applikation für den Justizvollzug, etwas publik wird.

Personalmangel als Auslöser

Der Mangel an Fachpersonal ist gerade bei den IT-Anbietern sehr hoch, deren Beschäftigung oft auf Mandatsbasis geregelt, und die Spezialisten sind nicht unbedingt in der Schweiz ansässig (Near- und Offshoring lassen grüssen). Je nach Situation können ein oder mehrere Entwickler von einem Tag auf den anderen ausfallen. Sei es, weil sie abgeworben werden, sei es, weil sie sich dem Auftrag nicht gewachsen fühlen. Zeitgerecht bezahlbaren Ersatz zu finden, ist für den IT-Anbieter dann ein Ding der Unmöglichkeit. Und so entscheidet er sich halt schweren Herzens dafür, den Auftrag aufzugeben und die Folgen zu tragen.

Es kann aber auch sein, dass der IT-Anbieter merkt, dass der Entwicklungsauftrag unerfüllbar ist (oder geworden ist), weil zum Beispiel das Lastenheft mit den Anforderungen unvollständig oder fehlerhaft ist, was zwar letztlich vom Kunden zu verantworten ist, aber den Lieferanten dennoch in eine schwierige Situation bringt, weil das Ziel nicht zu erreichen ist. Es kann der Punkt kommen, an dem ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen ist.

Und zu guter Letzt kann sich herausstellen, dass die Zusammenarbeit aus klimatischen oder persönlichen Gründen unzumutbar wird, der Kunde seinen Pflichten nicht nachkommt, keine kompetenten Gesprächspartner zur Verfügung stehen, die Entscheidungswege verschlungen und träge sind, der Auftrag beim Kunden als internes Kampffeld behandelt wird. In solchen Situationen degeneriert die Arbeit zum täglichen Spiessrutenlauf.

Die Justiz hilft nicht weiter

Natürlich gibt es Rechtsbehelfe, mit denen sich die Kunden gegen einen solchen Übungsabbruch wehren können. Je nach Vertrag sind die Instrumente unterschiedlich, aber wenn es dem Lieferanten nicht ums Geld geht, kann man kaum etwas ausrichten. Auf Erfüllung eines Vertrages für die Entwicklung einer Applikation zu klagen, ist vergebene Liebesmühe, man kann ja niemand dazu zwingen, brauchbaren Code und nützliche Funktionalitäten abzuliefern. Und auch die Klage auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung dürfte schwer zu quantifizieren sein. Dies umso mehr, als ja im Verlauf der Zeit meist noch Korrekturen oder Nachbesserungen am Auftrag vorgenommen wurden. Es kommt daher zum für den Kunden unbefriedigenden Vergleich. Vielleicht fliesst etwas Geld, aber die Applikation ist immer noch in weiter Ferne.

Alles in allem begibt sich ein Kunde bei der Vergabe eines business-kritischen Applikation fast durchwegs in eine gefährliche Abhängigkeit zum Anbieter. Man kann also als Auftraggeber fast nicht zu viel Aufwand betreiben, um den richtigen Lieferanten zu finden, die geforderten Leistungen umfassend zu formulieren und das Ganze auch noch rechtlich möglichst gut festzuzurren. Und dann bleibt noch das Menschliche, das Klima, der Umgang. Deshalb der ultimative Tipp: Sei nett zu deinem IT-Anbieter!

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch“ auf inside-it.ch und wurde teilweise mit KI recherchiert und optimiert. Illustration: Copilot mit Dall-E

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