Das Digitalisierungsgeschwurbel feiert weiterhin Hochkonjunktur. Politiker, Konzernchefinnen, Influencer und Evangelistinnen schleudern von den Podien landauf, landab Parolen und Buzzwörter ins staunende Publikum. Dieses hat für die Teilnahme am hippen Digitalisierungskongress ein Vermögen bezahlt und kann daher gar nicht anders, als schwer beeindruckt zu sein. Man berichtet mir, dass das D-Wort mittlerweile sogar in Home-Storys der Schweizer Illustrierten vorkommt.

Wer hinter diese Nebelwand aus Schaumschlägerei und Selbstdarstellung sieht, stellt ganz erstaunt fest: Doch, die Digitalisierung findet tatsächlich statt, nicht so glamourös, visionär und problemlos, wie vorgegaukelt wird, aber sie schreitet unaufhaltsam voran, in bestimmten Branchen rasend schnell, in anderen eher zögerlich.

Der Bereich, in welchem es in der Schweiz am wenigsten vorangeht, ist der Staat, der auf allen Stufen Mühe bekundet. Wer sucht, findet zwar immer mal Leuchttürme des digitalen Fortschritts, aber sie stechen gerade deshalb heraus, weil sie die Ausnahme bilden.

Ein Grund, weshalb es hier kaum vorangeht, ist die Kultur. Rechtsstaatlichkeit, Vertrauensschutz und Stabilität sind Werte, die besser gelebt werden können, wenn sich möglichst wenig ändert. Und diese Werte sind an sich richtig und sollen bewahrt werden. Das Problem dabei ist, dass diese Werte Menschen in die Verwaltung anziehen, die fast nicht anders können, als innovationsavers zu sein. Um dies aufzubrechen, müsste man die Führungsebene der Verwaltung mit High-Potentials z.B. aus den Bereichen ICT, Innovation oder auch Forschung verknüpfen, und zwar nicht einfach zum freundlichen Austausch, sondern zur konkreten Zusammenarbeit, bei der die Externen quasi als Katalysatoren in die Administration eintauchen und spezifische Aufträge übernehmen.

Nun werden wir diese gut ausgebildeten und toppmotivierten Nachwuchskräfte, die es dafür braucht, nie und nimmer dazu bringen, ihre Karriere in der öffentlichen Verwaltung zu verfolgen. Aber vielleicht kann man sie dazu motivieren, ihre Talente auf Zeit für eine gute und spannende Sache zur Verfügung zu stellen. Ein denkbares Konzept wäre zum Beispiel:

Die Bundesverwaltung schreibt Jahresverträge für High-Potentials mit spezifischen Qualifikationen aus. Diese Personen erhalten die Aufgabe, in einem internen Team der Verwaltung ein zentrales Entwicklungsprojekt voranzubringen. Sie sind in Generalsekretariaten oder Bundesämtern angesiedelt und direkt der Chefin oder deren Stellvertreter unterstellt. Zeitgleich können leitende Angestellte der Verwaltung in dieser Zeit in eine spezielle Ausbildung oder in ein Austauschjahr geschickt werden, so dass de facto keine Ressourcenaufstockung erfolgt. Um die Rückkehr ins Business sicherzustellen, wäre der bestehende privatwirtschaftliche Arbeitsvertrag nicht aufgehoben, sondern nur sistiert und würde nach zwölf Monaten wieder aufleben.

Bei der Verwaltung entstehen Mehrkosten, die jedoch durch den Erkenntnisgewinn und den Dynamisierungsschub kompensiert werden. Die Nachwuchskräfte profitieren von einem Seitenwechsel durch Erfahrungen, die auf andere Art nicht zu machen sind. Und die angestammten Arbeitgeber erhalten Arbeitskräfte zurück, die sich auch in einem anderen Umfeld bewähren und ihr Netzwerk ausbauen konnten.

Ob dies funktioniert? Keine Ahnung, aber es dünkt mich jedenfalls prüfenswert. Ob es dafür Interesse gibt? Davon bin ich überzeugt, wenn man es richtig positioniert. Das entsprechende (wenn auch nicht ganz vergleichbare) Programm in den USA nimmt nur rund fünf Prozent der Personen auf, die sich dafür bewerben. Daher: Weshalb lancieren wir in der Schweiz nicht ein Immersionsprogramm für mehr Innovation in der Verwaltung? Es kann natürlich nur ein Mosaikstein sein und löst nicht alle Probleme, aber einen Versuch wäre es allemal wert, um dem Staat einen Digitalisierungsschub zu verabreichen.

Aus Rückmeldungen weiss ich übrigens, dass auch Mitglieder unseres Parlaments diese Kolumne lesen. Diese könnten nun auf die Idee kommen, einen entsprechenden Vorstoss einzureichen. Für sie habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Ein Postulat, das in eine ähnliche Richtung geht, hat Nationalrätin Min Li Marti von der SP bereits eingereicht. Die gute: Obwohl der Bundesrat das Postulat annehmen will, gab es einen Ablehnungsantrag aus dem Parlament, so dass man sich also durchaus noch für das Anliegen öffentlich und damit wählerwirksam engagieren kann…

Dieser Beitrag erschien am 11. Juni 2019 in meinerKolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch. Ob er mithalf, dasss am 12. Juni 2019 das erwähnte Postulat von NR Marti im Rat mit grosser Mehrheit überwiesen wurde, kann natürlich niemand sagen. Aber geschadet hat er jedenfalls sicher nicht…

Bild: Min Li Marti (c) 2019

Kommentare anzeigenKommentare verbergen

Kommentar hinterlassen