Wie Megatrends Wahlen beeinflussen und was dies für die IT-Branche bedeuten könnte.

Die Resultate der kantonalen Wahlen in Zürich sind für alle Schweizerinnen und Schweizer relevant, denn sie sind das perfekte Orakel für die acht Monate später stattfindenden nationalen Wahlen: In 9 von 10 Fällen haben sie in den letzten 20 Jahren den Trend vorgegeben. Peter Moser, Stv. Amtschef des Amts für Statistik des Kantons Zürich, hat dies kürzlich wissenschaftlich sauber aufgezeigt. Und er ist in Sachen Wahlanalysen in der Scheiz auf der Datenseite eine unbestrittene Autorität.

Weder fühle ich mich berufen, eine parteipolitische Beurteilung der Wahlen von vorgestern wahrzunehmen, noch würde das wohl meine Leserschaft goutieren. Von Bedeutung scheint mir jedoch zu sein, wie sich Megatrends auf das Wahlverhalten auswirken und wie die IT-Wirtschaft davon betroffen sein könnte.

Als globale Themen stehen gegenwärtig für die Politik die drei K im Vordergrund: Klima, Krieg und Kovid (o.k., unorthodoxe Schreibweise). 

Grün oder grün?

Die Klimapolitik sollte eigentlich im aktuellen Kontext den sich grün gebenden Parteien massiven Auftrieb verschaffen, was jedoch überraschenderweise nicht passiert ist. Die Grünliberale Partei verliert minimal, die Grüne Partei (analog zu zahlreichen anderen Kantonen in der lezten Zeit) deutlich Stimmen (rund jeder achte ihrer Wähler hat sich abgewendet). Wurde das Thema Umwelt in der letzten Zeit etwas überverkauft? Oder haben die ausserparlamentarischen Kampagnen von Aktivisten das Image der grünen Parteien geschwächt? Dies wäre eine sehr verkürzte Betrachtungsweise. Denn 2019 haben die grünen Parteien massive Gewinne eingefahren, die sie nun weitgehend stabilisieren konnten. Davon zeugt auch die Tatsache, dass die „Klimaallianz“ im Kantonsrat zwar geschwächt wurde, aber immer noch über eine rechnerische Mehrheit verfügt. 

Für die IT-Wirtschaft ist hingegen relevant, was sich schon in mehereren Kantonen abgezeichnet hat: Das Momentum liegt bei den Grünliberalen und nicht bei den Grünen. Erstere sind deutlich wirtschaftsfreundlicher und technologie-affiner als letztere, was unter anderem durch die Tatsache unterstrichen wird, dass der Branchenverband Swico von der grünliberalen Nationalrätin Judith Bellaiche geleitet wird.

Migration wird wieder zum Thema

Der Krieg in der Ukraine wirkt auf verschiedenen Ebenen auf das Wählerverhalten ein. Da wäre die neu aufgeflammte Diskussion um die schweizerische Neutralität, ein Thema das die SVP grad stark umtreibt. Dies ist eine staatspolitische Frage, welche wohl nur Aussenpolitiker interessiert, Wählerinnen und Wähler dürfte das (auch dann auf nationaler Ebene) kalt lassen – im Vergleich zur Europafrage ein absoluter Non-Issue. Zweitens kann man die Inflation mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung bringen, doch diese ist jüngst wieder am Zusammenfallen. Die Ökonomen streiten sich nur noch, wie rasch es geht, bis sie sich wieder im „erträglichen“ Bereich um die zwei Prozent bewegt. 

Drittens jedoch ist der Krieg verantwortlich für eine starke Migrations- bzw. Flüchtlingswelle, welche mittlerweile viele Gemeinden an den Rand der Überforderung bringt. Dies könnte sich bis im Herbst noch zu einem ganz heissen Thema entwickeln, bei dem es auch für die IT-Wirtschaft um Einiges geht, hat sie doch ein grosses Interesse an möglichst einfachem Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften. Allerdings, wie lange noch? Das spezialisierte Unternehmen X.28 sieht aufgrund ihrer Analyse der Stellenanzeigen auch in der Schweiz Auswirkungen der globalen Tech-Krise, wie die NZZ vor wenigen Tagen berichete. Und sie sieht einen Trend zu weniger Einstellung schon seit Juni 2022. Dennoch, dies dürfte klar sein: Auch langfristig werden wir auf ausländische IT-Spezialisten angewiesen sein, was durch politische Migrationsdebatten erschwert wird.

Entsorgungspanne ohne Folgen

Die Pandemie, das dritte Megathema, hat das Land regelrecht durchgeschüttelt, nicht nur gesundheitlich, sondern auch politisch. Die Brüche in der Gesellschaft sind noch nicht verheilt, auch wenn Covid die Öffentlichkeit nicht mehr so stark beschäftigt. Long-Covid, der Pflegenotstand und auch Medikamentenmangel geben immer noch zu reden, aber das wirklich spaltende Thema Impfungen ist fürs Erste gegessen. Auch dies zeigen die Wahlen. Die Bewegung Aufrecht Schweiz versuchte, sich als Sammelbecken für Unzufriedene und Impfgegner zu etablieren. Chapeau, dass es Aufrecht Zürich zustandebrachte, in allen 18 Wahlkreisen eine Liste auf die Beine zu stellen. Die 2% Wähleranteil sind für Newcomer durchaus beachtlich. Allerdings dürfte dies ein einmaliger Exploit bleiben und die Bewegung als politische Partei bald wieder verschwinden. 

Die IT spielte im Zürcher Wahlkampf übrigens eine neckische Rolle. Vor wenigen Wochen brachte eine Milieufigur körbeweise ausrangierte Festplatten der Justizdirektion in den Kantonsrat, um den legeren Umgang des Amtes mit Datensicherheit und Datenschutz anzuprangern (selber Schuld, wenn man nicht von Swico-zertifizierten Recyclern entsorgen lässt!). Die von Anwalt und Kantonsrat Valentin Landmann orchestrierte Kampagne beschäftigte das Parlament und die Journalisten, hatte aber trotz ungeschickter Kommunikation von Regierungsrätin Jacqueline Fehr nie das Potenzial, sie in Gefahr zu bringen. Sie wurde sehr gut wiedergewählt. Dies im Gegensatz zu Valentin Landmann, der seinen Sitz an eine Parteikollegin abtreten musste…

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch.

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