Es ist wieder einmal an der Zeit, über Digitalisierung zu sprechen. Trotz der vielen Startups, die an allen Ecken und Enden die Welt disruptieren wollen, passiert in vielen Branchen erstaunlich wenig. In anderen überschlagen sich die Ereignisse und die Märkte werden komplett umgepflügt. Warum gibt es Branchen, die bis heute und wohl auch in Zukunft disruptionsresistent sind? Welche Faktoren sind dafür verantwortlich?
Meiner Meinung nach liegt es vor allem an der Bedeutung von persönlichen Beziehungen und subtilen, feinstofflichen Faktoren im jeweiligen Geschäft. Sobald Networking eine Rolle spielt, ist die reine Rechenleistung nutzlos. Was nützt mir eine KI, die mir zielgenau eine Marketingstrategie, ein Budget und einen Kommunikationsplan für ein Projekt entwickelt, wenn mein Mitbewerber im selben Serviceclub sitzt wie der potenzielle Kunde, der ihm bei einer guten Zigarre genau gesagt hat, was er will? Nähe, Erfahrung und Vertrauen können heute (noch?) nicht durch eine Maschine ersetzt werden.
Viele sind noch „old school“
In der IT-Branche unterschätzen wir immer noch massiv das Beharrungsvermögen der „alten Schule“. Wir glauben, dass moderne globale Plattformen sowohl für Anbieter als auch für Kunden die bei weitem effizienteste und kostengünstigste Lösung sind, um miteinander ins Geschäft zu kommen, und dass jedes vernünftige Unternehmen sie nutzen sollte. Für junge und neue Anbieter, die in einen Markt einsteigen wollen oder Lieferanten suchen, mag das zutreffen. Nicht daran interessiert sind hingegen die Dinosaurier, die seit Jahrzehnten in diesen Branchen arbeiten. Sie sind sich selbst ihre eigene hochspezialisierte „menschliche KI“ und halten sich für unschlagbar – und sind es oft auch. Viele Start-up-Gründer verzweifeln an dieser Konstellation: Sie wissen, dass sie ihren potenziellen Kunden einen grossen Nutzen bieten, aber niemand scheint bereit zu sein, sich darauf einzulassen.
Denn Dinosaurier zeichnen sich unter anderem auch durch ihr höheres Alter aus, und damit kommt ein zweiter Faktor ins Spiel: Sie sind oft in Führungspositionen und haben Einfluss darauf, wie das Geschäft betrieben wird. Sie haben persönlich kein Interesse an Veränderung, schon gar nicht an Disruption, und vor allem nicht daran, etwas Neues lernen zu müssen. Wer die unsäglichen Diskussionen um den Einsatz von Faxgeräten während der Pandemie miterlebt hat, weiss, wovon ich spreche. Und es wird nicht oder nur sehr langsam besser. Auch heute noch gibt es meldepflichtige Krankheiten, bei denen die Meldung per Fax das Kommunikationsmittel der Wahl ist.
Was den Dinosauriern richtig Angst macht, ist die Gefahr, dass ihr Know-how obsolet wird und sie ihre Machtposition verlieren könnten. Als jemand, der ein halbes Leben lang Public Affairs gemacht hat, fällt mir hier immer wieder der massive Unterschied zwischen den Generationen auf. Einerseits die Dinosaurier mit Papieragenda und Telefonbuch, die einen Computer nicht mit der Kneifzange anfassen würden. Andererseits die Jungen, oft studiert und bestens ausgebildet, für die der Einsatz elektronischer Hilfsmittel bei ihrer Arbeit nicht nur selbstverständlich, sondern aus Gründen der Nachvollziehbarkeit und Compliance auch unverzichtbar ist. Sie würden gerne die leistungsfähigen Systeme nutzen, die heute zur Verfügung stehen, aber man gibt ihnen kein Budget dafür.
Oder nehmen wir die Justiz, wo allein die formalen Hürden verhindern, dass die Kernprozesse effizienter gestaltet werden können (während an der Peripherie, etwa in grösseren Anwaltskanzleien, mit Plattformen, Tools und KI durchaus Fortschritte erzielt werden).
Wie kann Innovationsresistenz bekämpft werden?
Nun kann man diese Tatsachen beklagen und resignieren oder sich überlegen, wie man damit umgeht. Zunächst ist eine klare Analyse notwendig, wie innovationsresistent die anvisierte Branche ist. Bei Billigprodukten, Massenmärkten und niedrigen Margen, in der Regel im B2C-Bereich, ist diese Resistenz nicht zu erwarten. Bei Oligopolen, hoher Regulierungsdichte, fragmentierten Märkten, tendenziell B2B, ist sie eher zu vermuten. Hier muss eine klare Trennung der Zielgruppen vorgenommen werden, um sich auf die potenziellen Kunden zu konzentrieren, bei denen nicht die Dinosaurier das Sagen haben. Das können Start-ups, Innovationsführer oder Unternehmen nach einem Eigentümerwechsel sein. Bei vielen Firmen muss man aber einfach warten, bis die Dinosaurier ausgestorben sind – in der Hoffnung, dass das entsprechende Unternehmen dann noch lebt…
Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch“ auf inside-it.ch und wurde teilweise mit KI recherchiert und optimiert. Foto von Huang Yingone auf Unsplash