Spätestens in diesen Tagen ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Firmen darauf bestehen, dass ihre Mitarbeitenden wieder im Büro anwesend sind. In welchem Umfang, das ist eine grosse Diskussion, auf die ich hier nicht eingehen will, ebenso wenig auf das Thema Impfung. Mich interessiert vielmehr, was in den Menschen vorgeht, die wieder ins Büro zurückkommen, wie sie sich mit der Situation arrangieren und wie sie sich gegenüber Kolleginnen und Kollegen verhalten. Im Zeitalter der Grossraumbüros kann dies relativ einfach beobachtet werden – auch gefahrlos mit etwas Abstand.

  • Der Ängstliche kommt so selten wie möglich ins Büro, lässt sich immer im abgelegensten Teil des Offices nieder und kommuniziert auch weiterhin per Zoom, selbst wenn er mit seiner Kollegin 10 Meter weiter konferieren muss. Man sieht ihn nie ohne FFP2-Maske. Der Lunch wird im luftdicht verschlossenen Tupperware mitgebracht und auf der Dachterrasse konsumiert – bei jedem Wetter. Grösser als seine Angst vor dem Virus ist nur die Furcht vor der Chefin, die seine Abwesenheit tadeln könnte.
  • Die Modische betrachtet die Pandemie primär als Herausforderung für ihr äusseres Erscheinungsbild. Sie hat die Zeiten des Homeoffice genutzt, um sich via Instagram das notwendige Know-how anzueignen und die Bezugsquellen zu finden, die es ihr ermöglichen, jeden Tag aufs Neue den Virus mit einem Fashion-Statement zu bekämpfen. Die täglich wechselnde Maske aus dem Hause eines Edel-Couturiers mit der Bluse zu matchen, erfordert schon viel Planung. Das Ganze noch mit Handtasche und Schuhen harmonieren zu lassen, das ist dann schon hohe Kunst.
  • Der Verwahrloste hat im Gegensatz dazu im Lockdown und im Homeoffice erlebt, wie befreiend es ist, sich von allen formellen Zwängen zu lösen. In heutigen Zeiten sind ja Jogging-Hosen im Büro kein grundsätzliches Problem mehr, aber wenn sie löchrig und ausgeleiert sind, eher weniger gern gesehen. Auch das Essen eines Döners während eines Meetings und mangelnde Körperhygiene können dafür sorgen, dass er nie ein Problem damit hat, dass ihm andere zu nahe kommen. Gut für das Einhalten der Abstandregeln.
  • Mit diesen hat nämlich die Überschwängliche so ihre Schwierigkeiten. Sie ist so froh, endlich wieder unter Menschen zu sein, dass sie jede Gelegenheit nutzt, den direkten Kontakt zu suchen. Dies beginnt mit Händeschütteln, setzt sich mit Schulterklopfen fort und endet vielleicht noch mit einem High-Five. Allerdings schafft auch sie es nicht, das Küsschen-Küsschen-Küsschen wieder salonfähig zu machen.
  • Der Apotheker ist da anders. Er ist überzeugt, dass man Corona mit medizinischen Mitteln angehen muss. Er verfügt deshalb über ein ganzes Arsenal in allen Aggregatszuständen (fest: Mikrofasertuch und Vitaminpillen – flüssig: Vitamincocktails und Handlotion – gasförmig: Mund- und Desinfektionssprays), die er im Rahmen eines Wettrüstens mit den Virus-Varianten einsetzt. Vor allem in kreativen Unternehmen gibt es den Apotheker übrigens auch in einer homöopathischen Eso-Version.
  • Die Frischluft-Fanatikerin sieht in der Pandemie ihre Stunde gekommen. Während sie sich früher nie durchsetzen konnte, hat sie jetzt das BAG auf ihrer Seite. Sie liebt es, alle Fenster aufzureissen und betet den Durchzug regelrecht an. Aussentemperaturen unter Null sind für sie kein akzeptables Gegenargument. Zum Glück ist in vielen Grossraumbüros dank Minergie-bedingter Zwangslüftung ein Öffnen der Fenster nicht mehr möglich. In diesem Fall begnügt sie sich damit, die Luftqualität mit einem privat angeschafften CO2-Sensor zu überprüfen – immerhin ein Qualitätsprodukt aus der Schweiz.
  • Bleibt noch der Massnahmenverweigerer. Im Businessumfeld hält er sich etwas zurück – ausser wenn er ein Trychler-Hemd montiert, weil er anschliessend an die Arbeit an eine Corona-Demo geht. Um seinen Widerstand zu demonstrieren, trägt er die Maske grundsätzlich so, dass die Nase frei bleibt. In geselliger Runde präsentiert er Memes, die er auf Telegram gefunden hat. Er verschickt auch gerne Links zu Youtube-Filmen, welche nachweisen, dass Bundesrat Berset in Tat und Wahrheit ein Reptiloid ist, der vom Blut von Neugeborenen lebt. 

Es lohnt sich also, hin und wieder ins Büro zu gehen, um nachzuschauen, wie sich die Dinge so entwickeln. 

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Photo by DESIGNECOLOGIST on Unsplash

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