Es gibt heute die unendlich vielen, die plötzlich an Videokonferenzen befohlen werden. Und dann gibt es noch die, welche sie organisieren.
Die Corona-Pandemie leistet gerade für die Digitalisierung der Welt deutlich mehr als die gesammelten Kampagnen von Staat, Verbänden und Firmen des letzten Jahrzehnts. Dabei sind es nicht Hype-Themen wie AI oder Blockchain, welche massiv an Bedeutung gewinnen, sondern so triviale Dinge wie Cloud-Speicher oder Videokonferenzen, welche nun breite Bevölkerungsschichten durchdringen.
Der Boom der Videokonferenzen ist besonders augenfällig. Es ist mittlerweile schon so weit, dass Zünfte in der Pandemie das Sechseläuten mit einem gemeinsamen Zuprosten via Zoom feiern (selbst erlebt). Mittlerweile gibt es schon recht viele Ratgeber, wie man sich im Rahmen von Videokonferenzen richtig verhält – so im Stil von „Es ist besser, wenn keine unbekleideten Mitbewohner durchs Bild huschen.“ oder „Vor dem Nasenbohren Video abschalten.“
Mir geht es aber heute nicht um das Verhalten in, sondern um das Veranstalten von regelmässigen Videokonferenzen oder besser gesagt Video-Meetings, etwas, was ich aufgrund meiner Funktionen häufiger tun muss. Wir wechseln also von der Opferrolle zur Täterperspektive. Denn auch hier kann man es gut oder besser machen.
Greenhorns einführen
Das beginnt damit, dass zunehmend Leute an Videokonferenzen teilnehmen sollen, die noch wenig bis keine Erfahrung damit haben. Es ist extrem störend, wenn die erste Hälfte des Meetings damit verbracht wird, Leute zu instruieren, während alle anderen genervt mithören müssen. („Drücke jetzt auf das Mikrofon-Icon. Nein, nicht auf das Telefon-Icon! Peter? Peter? Mist, jetzt ist er weg!“). Besser ist es, für Greenhorns einen Testtermin zu organisieren, in welchem alles ausprobiert werden kann und in welchem sie sich akklimatisieren können.
Welches System verwenden?
Die Angebote für Videokonferenzen sind gerade daran, sich zu vervielfachen. So haben verschiedene Schweizer Provider neue kostenfreie Angebote in Betrieb genommen (die meist auf der Open-Source-Software Jitsi aufbauen). Aber auch die bekannten Namen wie Skype, Teams, Meet, Zoom & Co. sind technologisch und auch von der Sicherheit her so ausgereift, dass sie bedenkenlos eingesetzt werden können. Mir gefällt auch der sehr schlanke Newcomer Whereby. Was den Datenschutz anbelangt, so verweise ich gern auf spezialisierte Anwälte, z.B. auf Martin Eckert von MME, da es wohl den Rahmen der Kolumne sprengen würde.
Sicher ganz schön teuer?
Auch wer nicht Zugang zu einem Firmensystem hat, findet meistens problemlos eine kostenlose Anwendung, teilweise auch als Bundle zu Softwarepaketen (Microsoft, Google z.B.). Mittlerweile gehört sogar das Screen-Sharing zum Standard von Free-Versionen. Je nach den eigenen Bedürfnissen muss man schauen, wie stark man die Free-Version ausreizen kann: So wurde der erwähnte Zunftanlass mit einer Gratis-Version von Zoom durchgeführt, weil sie bis zu 100 Teilnehmern zulässt, allerdings nur für maximal 40 Minuten. Wichtig ist in jedem Fall, dass bei PC-Einsatz keine Software eigenhändig heruntergeladen und installiert werden muss – zur Not also auch via Browser kommuniziert werden kann. Wer in einem professionellen Setting arbeitet und es sich leisten kann, wird natürlich die Features zu schätzen wissen, welche Bezahlversionen bieten.
Muss es immer 08.15 sein?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und so beginnt ein Meeting, das bisher immer um 08.15 Uhr begonnen hat, auch online um diese Zeit. Aber muss das sein? Logistische Sachzwänge, welche ein physisches Meeting mitbeeinflussen (z.B. SBB-Fahrplan), fallen weg, so dass es sich zu prüfen lohnt, ob es im Homeoffice-Modus nicht vorteilhaftere Zeiten gäbe.
Nicht alle Traktanden geeignet
Da das Verfolgen von Videokonferenzen als Teilnehmer anstrengender ist, sollten Informationstraktanden nicht via Videokonferenz behandelt werden, sondern vorher auf anderem Weg (z.B. schriftlich) kommuniziert und im Meeting nur diskutiert werden (etwas, was natürlich auch bei physischen Meetings sinnvoll wäre). Auf der anderen Seite eignen sich konfliktgeladene und emotionale Themen eher nicht für Videokonferenzen, da die in diesen Situationen wichtige non-verbale Kommunikation nicht integral verfolgt werden kann und sich auch Beteiligte zu einfach aus der Diskussion verabschieden können („Sorry, ich habe grad eine schlechte Verbindung.“).
Auf den Start kommt es an
Wie bei einer physischen Sitzung sollte es auch online eine kurze „Aufwärmrunde“ geben, bei der vor dem offiziellen Beginn mittels Smalltalk ein Wohlfühlfaktor erzeugt wird. Im Real Life holt sich dabei jeder einen Kaffee und ein Gipfeli, aber das fällt nun flach. Und gegenwärtig wird man zwar nicht über das Spiel der Fusball-Nati vom Vorabend sprechen können, aber auch die Pandemie liefert genügend Gesprächsstoff, so dass alle mitreden und -hören können.
Wieso Video?
Überhaupt muss die Frage gestellt werden, ob es denn Videokonferenzen sein müssen. Wenn die Bandbreite schrumpft und die Latenz zunimmt, wird das Mitverfolgen der Voten eine Qual. Bevor man deswegen die Videofunktion bei allen Nicht-Sprechenden abschaltet sollte man sich überlegen, ob nicht eine Telefonkonferenz kürzer, einfacher, zielführender und weniger anstrengend wäre. Im Moment wollen einfach alle Videokonferenz machen, weil es „in“ ist. Aber irgendwann sollte man sich wieder darauf besinnen, was effizient ist. In vielen Fällen ist es die Telefonkonferenz. Man kann trotzdem auf anderem Weg Screensharing durchführen oder auch gemeinsam an Dokumenten arbeiten (z.B. auf Google Docs).
Und nach Corona?
Es wäre jammerschade, wenn wir unsere digitalen Skills nach dem Auslaufen der Distanzvorschriften wieder verlieren würden, weshalb wir nicht wieder in den alten Trott zurückfallen sollten. Andererseits hat die physische Begegnung Qualitäten, die man (noch?) nicht elektronisch substituieren kann: Der kurze bilaterale Blickkontakt, die getuschelte Randbemerkung (die man nicht in einem Chat geschrieben sehen will), und vor allem der Lunch oder das Bier danach. Für mich ist daher klar, dass ich in den Gremien, in denen ich für die Leitung zuständig bin, in Zukunft mit einem Mix arbeiten möchte. Am liebsten als Chrüzlistich: Abwechselnd physisch und online, vielleicht dafür mit höherer Kadenz und kürzeren Telefonkonferenzen.
Allerdings – und man möge mich da als etwas konservativ schelten – beim Sechseläuten möchte ich auf die physische Durchführung schon nicht verzichten.
Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Photo by Chris Montgomery on Unsplash