Wenn man es genau nimmt, ist es ziemlich kompliziert, Umwelteinwirkungen zu messen.

In kaum einem Bereich kommen wir noch ohne CO2-Bilanzen aus, in der IT sind wir es gewohnt, gerade beim Cloud Computing oder Streaming, diesen Faktor mit einzubeziehen. Aus der EU kommen seit kurzem Regelungsvorschläge für eineK limakennzeichnung von Lebensmitteln, im Fleischbereich und bei den unzähligen Milchalternativen läuft die Diskussion schon länger. Ich wette, es wird nicht lange dauern, bis es auch hierzulande entsprechende Vorstösse gibt.

Nachdem ich vor vier Monaten beschrieben habe, wie in der Finanzbranche mit der Umwelt Schindluder getrieben wird (Stichwort Greenwashing), geht es mir heute darum, die Komplexität der Messung von Umweltwirkungen aufzuzeigen. In der politischen Diskussion wird uns vorgegaukelt, es sei alles ganz einfach: Zu jedem Produkt und zu jeder Aktivität gebe es einfach eine Anzahl Tonnen CO2 pro Output-Einheit, und damit sei alles klar, gut oder schlecht. Dem ist aber nicht so.

Immer längere Lieferketten

Um zu wissen, wie viele Tonnen CO2 ein Produkt im Vergleich zu einem anderen Produkt mehr ausstösst, muss ich herausfinden, wie alle Komponenten und Vorstufen entstanden sind, welche Rohstoffe mit wie viel Energie welcher Herkunft eingesetzt wurden. In der IT kommt erschwerend hinzu, dass es eine Vielzahl von Modulen und Baugruppen gibt, die von einer Unzahl von Lieferanten und Sublieferanten stammen. Im Laufe der Zeit werden auch Chargen an andere Lieferanten vergeben, sodass sich die Werte wieder ändern. Das muss ich übrigens nicht nur für mein Produkt herausfinden, sondern auch für das Vergleichsangebot. Selbst wenn ich die Zahlen von allen meinen Lieferanten bekäme, wie komme ich an die CO2-Werte von Konkurrenzprodukten, die zum Beispiel mit einer früheren oder anderen Technologie irgendwo auf der Welt hergestellt werden? Ich will mich hier nicht in Details verlieren, aber es muss jedem klar sein, dass bei der Ermittlung dieser Werte an allen Stellen Messfehler auftreten können, die sich kumulieren oder aufheben – wie soll man das wissen?

Und manchmal gibt es keine konkreten Vergleichswerte, sodass ich auf Datenbanken zurückgreife, die Durchschnittswerte anbieten (oder verkaufen). Aber damit entferne ich mich natürlich noch weiter von der konkreten Realität und den wahren Werten.

CO2 reicht nicht

Angenommen, ich hätte nun – trotz all dieser Unwägbarkeiten und Probleme – einen CO2-Vergleichswert ermittelt, hilft mir das weiter? Nicht unbedingt, denn wenn wir über das Klima sprechen, dann ist CO2 zwar ein wichtiger Faktor, aber bei weitem nicht der einzige, weil eine Vielzahl von Treibhausgasen das Klima beeinflussen. Wenn ich 10 Tonnen CO2 einspare, dafür aber eine Tonne Methan zusätzlich emittiere (zum Beispiel durch mehr furzende Kühe oder, für unsere Branche relevanter, durch austretendes Erdgas), habe ich dem Klima viel mehr geschadet, als wenn ich gar nichts getan hätte. Der Grund: Methan ist 25-mal klimaschädlicher als CO2. Allerdings gilt diese Aussage nur, wenn man einen Zeitraum von 100 Jahren zum Vergleich heranzieht, da sich die Klimawirkung (Global Warming Potential; GWP) über die Zeit unterschiedlich entwickelt.

Punkte sammeln einmal anders

Hurra, ich habe nach langer Recherche und Analyse die richtigen GWP100-Werte ermittelt. Kann ich jetzt die Umweltauswirkungen genau beschreiben und vergleichen? Leider bin ich noch nicht am Ende. Unsere Welt besteht ja nicht nur aus Treibhausgasen (man mag es kaum glauben), sondern auch aus anderen Umweltfaktoren. Die wieder aufgeflammte Diskussion um Atomkraftwerke hat genau damit zu tun: Diese Art der Stromerzeugung ist sehr CO2-arm und wird trotzdem bekämpft, weil sie andere umstrittene Umweltwirkungen hat. So konkurriert das Treibhauspotential mit der Radiotoxizität, dem Versauerungspotenzial oder dem Biodiversitätsverlust und anderen Bereichen. Ein Vergleich solcher Faktoren erfolgt mit der Methode der ökologischen Knappheit und führt zu einem Vergleich der Umweltbelastungspunkte (UBP). Und auch hier gibt es wieder eine Besonderheit: Je nachdem, in welcher Region der Welt ich mich befinde, können sich die Werte der Umweltbelastungspunkte verschieben, da die Bedingungen nicht überall gleich sind.

Ich hoffe, dass ich an dieser Stelle nicht alle meine Leserinnen und Leser verloren habe, aber es war mir wichtig, diese Komplexität konkret aufzuzeigen. Was können Sie nun aus diesen Ausführungen mitnehmen?

Eine Angabe über CO2-Einsparungen oder ähnliches ist primär eine Marketingaussage. Wenn Sie damit beruflich zu tun haben, fragen Sie etwas genauer nach, was da wie berechnet wurde. Fragen Sie lieber nach GWP- oder UBP-Werten. Und wenn Sie ihr als Konsumentin begegnen, nun, dann können Sie die Zahl gleich wieder vergessen, denn sie sagt eigentlich nichts aus.

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch auf inside-it.ch. Foto von Lukasz Szmigiel auf Unsplash 

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